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Die letzte Lagune

Die letzte Lagune

Titel: Die letzte Lagune Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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zu Ispettore Bossi, der ein Gesicht
machte, als sei es ihm gerade ähnlich ergangen.
    «In Ihrem
Büro in der Questura?» Bossis Stimme klang nicht
übermäßig begeistert.
    Tron überlegte
kurz. In den letzten beiden Wochen hatte sich herausgestellt, dass
kein einziger Ofen in der Questura der sibirischen Kälte
gewachsen war. Die Temperaturen in seinem Büro hatten
regelmäßig um den Gefrierpunkt geschwankt. Dann dachte
er an den langen Fußweg über die gefrorene Lagune zur
Klosterinsel San Lazzaro. Ob es inzwischen einen halbwegs gangbaren
Pfad dorthin gab? Wenn nicht, würden sie sich durch
knöchelhohen Schnee kämpfen müssen. Er
schätzte, dass sie in diesem Fall eine gute Stunde unterwegs
sein würden - den eisigen Nordostwinden und möglichen
Schneefällen gnadenlos preisgegeben. Da wäre es besser,
sich vorher etwas gestärkt und erwärmt zu haben.
Notfalls, dachte Tron schließlich, könnte man den Besuch
auf San Lazzaro um ein paar Tage
verschieben.          
    «Wir treffen uns
im Florian», sagte er.

13
    Der Mann in der
weißen Jacke, deren Farbe mit dem verschneiten Dach
verschmolz, auf dem er hockte, sah auf seine Taschenuhr. Er stellte
nüchtern fest, dass Dr. Flyte noch knappe fünf Minuten zu
leben hatte. Wenn alles wie geplant ablief, würde Flyte einen
schnellen Tod sterben. Wenn nicht, dann ... Nun, dann würde
man sehen. Letzten Endes interessierte es ihn nicht. Die vor ihm
liegende Operation war ein wenig heikel, aber sie würde keine
Spuren hinterlassen. Niemand, selbst dieser Commissario Tron nicht,
würde auf den Gedanken kommen, überhaupt nach Spuren
zu suchen.
    Die Schicht aus
solidem Eis, die äußerst instabil auf der
Dachschräge lag, war leicht ins Rutschen zu bringen, und ein
kräftiger Tritt mit dem Fuß würde das Eisbrett in
Bewegung setzen. Es würde herabsausen wie ein riesiges
Fallbeil und -zack! - dem Strolch das Lebenslicht ausblasen. Wenn
ein solides Eisbrett aus zwanzig Metern Höhe zu Boden
stürzt, zermalmt es alles, was das Pech hat, sich unter ihm zu
befinden. Eine Vorstellung, die ihn außerordentlich
befriedigte. Es war das Ei des Kolumbus, eine äußerst
elegante Lösung. Vermutlich würde es wieder einen kleinen
Artikel in der Gazetta di Venezia geben, und die
Fachwelt würde den Tod von Dr. Flyte bedauern. Scheinheilig
selbstverständlich, denn der Kampf der jungen Mediävisten
um die wenigen Lehrstühle wurde erbittert geführt, und er
wusste aus sicherer Quelle, dass der schlaue Dr. Flyte unter seinen
Kollegen geradezu verhasst war.
    Er saß auf dem
Dachfirst, fast direkt über dem Eingang zu Flytes Wohnung in
der Calle del Pozzo, und lehnte mit dem Rücken an einem dieser
typischen venezianischen Schornsteine, deren Öffnung aus
unerfindlichen Gründen in drei runden Röhren auslief. Aus
seinem Blickwinkel waren die umliegenden Gassen von hohen
Gebäuden verdeckt. Er konnte lediglich einen Campiello
erkennen, darauf den pozzo, den marmornen Brunnen mit einer
Kuppe aus Eis. Dass irgendjemand ihn selber sehen konnte, war
auszuschließen, denn er hockte im Schatten des
Schornsteins.
    Trotz der heiklen
Aufgabe, die vor ihm lag, konnte er nicht umhin, die prächtige
Aussicht zu bewundern, die sich ihm darbot. Da war der Bacino di
San Marco mit den festgefrorenen und wie angeklebt wirkenden
Schiffen, dahinter die Lagune, übergehend in die terra
ferma, die
von den sonnigen Gipfeln der prealpi begrenzt wurde.
    Er warf einen Blick
auf seine Taschenuhr. Vor genau vier Minuten hatte Dr. Flyte die
Marciana verlassen, um sich mit der Präzision eines Schweizer
Uhrwerks zu seiner Wohnung in der Calle del Pozzo zu begeben. Er
hatte Dr. Flyte tagelang beobachtet und herausgefunden, dass dieser
einem Zeitplan folgte, der an gusseiserner Starrheit nicht zu
überbieten war. Flyte verließ seine Wohnung um drei
viertel elf, betrat Punkt elf die Marciana, um dort pünktlich
um vier Schluss zu machen und exakt eine Viertelstunde später
in die Calle del Pozzo einzubiegen, in der seine Wohnung lag. Die
Abende verbrachte er zu Hause. Er trank nicht, er spielte nicht,
und er trieb es auch nicht mit Frauen - obwohl er mit seinem guten
Aussehen sicherlich viele Gelegenheiten gehabt hätte. Das
Einzige, was Dr. Flyte in Venedig tat, dachte der Mann in der
weißen Jacke erbittert, war in Angelegenheiten
herumzuschnüffeln, die ihn nichts angingen.
    Er hob den Kopf, als
Flyte den Campiello betrat, unverkennbar in seinem
knöchellangen Umhang und der russischen Pelzmütze, die

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