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Die letzte Lagune

Die letzte Lagune

Titel: Die letzte Lagune Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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nicht ein völlig
einleuchtendes Motiv, zu töten? Und wie immer es im Prozess
zwischen Flyte und seinem Onkel tatsächlich stand - Spaur
würde Flyte auf jeden Fall unterstellen, dass er kein Risiko
eingehen wollte und seinen Onkel gleichsam vorsorglich ermordet
hatte. Aber wenn er, Tron, gezwungen wäre, Flyte zu verhaften
- was würde dann mit den Tagebüchern Zanetto Trons
geschehen? Würden sie bei Lodron oder bei Contarini landen?
Beide könnten es aus unterschiedlichen Gründen für
besser halten, die Tagebücher in der Versenkung verschwinden
zu lassen. Würde er dann jemals erfahren, was mit Zanetto Tron
weiter geschehen war? Und was es mit diesem Glas auf sich
hatte? Das
Glas wird dir Unglück bringen, Dandolo, dachte Tron. Nein -er
konnte Flyte jetzt unmöglich aus dem Verkehr ziehen.
Jedenfalls nicht so schnell. Nicht, bevor Flyte seine Arbeit an den
Tagebüchern beendet hatte. Aber vielleicht - dachte Tron
weiter - hatte Flyte für sein Verschwinden aus dem Fenice ja
eine einleuchtende Erklärung. Und für den Zeitraum, in
dem Marchmain erschossen worden war, ein Alibi.

30
    Bossi tauchte
erstaunlich schnell wieder auf. Der Mann in seinem Gefolge
besaß einen Kugelkopf, der so dicht auf den Schultern
saß, dass es aussah, als würde er permanent die Achseln
zucken. Er trug die theatralische Hausuniform des Fenice: einen
dunkelroten Frack aus Samt, dazu schwarze Hosen mit Seidengalons,
auf dem Kopf eine Mütze, auf der ein Phönix aus
gestanztem Goldblech prangte. Als er den zugedeckten Körper
auf dem Boden des Magazins sah, zuckte er zusammen.
    «Signor Maffei
hat für jemanden ein Billett in eine Loge gebracht»,
sagte Bossi.
    «Und wann war
das?», fragte Tron, nachdem er dem Logenbeschließer die
Hand gegeben hatte.
    Er war beim Eintreten
von Signor Maffei von seinem Schemel aufgestanden - einerseits aus
Höflichkeit Signor Maffei gegenüber (Zeugen, die man
höflich behandelte, erzählten mehr), andererseits weil er
keine Lust hatte, bei diesem Gespräch ständig den Kopf in
den Nacken zu legen. Nun sprachen sie über den zugedeckten
Körper Marchmains hinweg, auf den Signor Maffei hin und wieder
verstörte Blicke warf.
    «Nach der
Pause», sagte Signor Maffei, nachdem er über Trons Frage
nachgedacht hatte. «Ich war unten im Foyer.»
    «Und wann genau
nach der Pause ist das gewesen, Signor Maffei?»
    Darüber musste
Signor Maffei ebenfalls nachdenken. «Vielleicht zehn Minuten
nach der Pause», antwortete er schließlich.
    «Und wie genau
ging das vor sich?»
    «Ein Mann kam
auf mich zu und hat mich gebeten, ein Billett zu
überbringen», sagte Signor Maffei.
    «Wem zu
überbringen?»
    «Einem Signore
in der sechsten Loge im zweiten Rang links», entgegnete
Signor Maffei. «Ich sollte klopfen und mich nicht abwimmeln
lassen. Der Mann, dem ich das Billett zu übergeben hatte,
sollte einen Schwanenhelm und eine baùta tragen.»
    «Fanden Sie
diesen Auftrag nicht ungewöhnlich?»
    Signor Maffei nickte.
«Doch, sicher. Aber ich habe zwei Lire dafür
bekommen.»
    Tron stieß einen
erstaunten Pfiff aus. Zwei Lire Trinkgeld waren äußerst
großzügig. Ein Polizeibeamter im Rang eines Sergente
verdiente fünfzehn Lire im Monat. «Sodass Sie diesen
Auftrag vermutlich gerne angenommen haben», sagte
er.
    «Können Sie
den Mann beschreiben, der Sie gebeten hatte, das Billett in die
Loge zu bringen?»
    «Er trug eine
schwarze baùta, einen Schwanenhelm und
das Übliche.»
    «Was heißt
das?»
    «Na, was alle
hier tragen», antwortete Signor Maffei. «Einen
Frack.»
    «Wie hat er
gesprochen? Hatte er einen Akzent?»
    «Das ist schwer
zu sagen, denn er hat geflüstert, was ich komisch fand. Aber
ich glaube, er sprach kein Veneziano.»
    «Es könnte
also ein Ausländer gewesen sein?»
    Signor Maffei hob die
Schultern. «Ich weiß es nicht,
Commissario.»
    «Und
dann?»
    «Bin ich nach
oben gelaufen, habe an der Tür der Loge geklopft und sie
geöffnet. Da hat sich der Signore umgedreht, und ich habe ihm
das Billett gegeben. Er trug auch einen Schwanenhelm und eine
Maske.»
    «Und
danach?»
    «Bin ich wieder
ins Erdgeschoss gelaufen.»
    «Und Sie haben
nicht beobachtet, was der Signore aus der Loge anschließend
getan hat?»
    Signor Maffei
schüttelte den Kopf. «Nein.»
    Da er keine weiteren
Fragen mehr hatte, gab Tron Signor Maffei zum Abschied die Hand.
Dann sah er, wie die Tür des Magazins, die Bossi eben
öffnen wollte, wie von selber aufging und das Gesicht von
Sergente Caruso im Rahmen erschien.
    «Er

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