Die Letzte Liebe Meiner Mutter
Stimmung mit dem unvergesslichen Schlager: »Nach Hause, nach Hause, nach Hause gehn wir nicht …«
Zusammen unterwegs, halleluja.
Martine legte die Hand auf Wannes’ Knie. Dieser Augenblick, den sie förmlich festhalten zu können glaubte, war für sie: Zufriedenheit. Doch, ja. Ein paar Tage standen bevor, in denen man nicht an den Kühlschrank und dessen Befüllung zu denken brauchte. Sie fuhren an einen Ort ohne Waschtrommeln und Stromrechnungen, ohne Eimer und Scheuerlappen. Heute und an allen kommenden Abenden dieses bescheidenen Urlaubs bräuchte sie keine Küchenschürze zu tragen. Und Wannes drückte ihre Hand, Jimmy konnte es genau sehen. Wie ein liebender Ehemann, ein Familienvater im Augenblick der Entspannung, der stolz darauf war, seine Familie durch ein anstrengendes Arbeitsjahr gelotst zu haben und ihr nun einen erholsamen Urlaub bieten zu können. Ein Mann, dem erst jetzt richtig aufging, dass er ein paar Tage lang keine Brote aus der Frühstückbüchse zu mampfen, keine Metallfarbe zu riechen und keinen unangenehmen Kollegen, die ständig über ihre Frauen meckerten, zuzuhören brauchte. Der die Geräusche am Fließband gegen das Gezwitscher von Vögeln eintauschen durfte und hier und da das Rascheln eines Gebüschs. Der seine Rückenschmerzen ein Weilchen lang nicht mehr so spürte oder sogar vergessen durfte, und stattdessen in aller Ruhe tafeln würde und ein paarmal aufs Klo gehen, ohne auf die Uhr sehen zu müssen, ein Buch von Konsalik auf dem Schoß. Jetzt, da er endlich Zeit dafür hatte.
Jawohl, der Urlaub hatte wirklich begonnen.
Kapitel 12
L uxemburg! Mit jedem Kilometer, den sich der Bus seinem ersten Ziel näherte, war unter den Reisenden eine unterschwellige Aufregung deutlicher zu spüren. Denn obwohl die vertrauten Betonsiedlungen des Nordens schon eine Weile hinter ihnen lagen, war doch erst mit der Einfahrt in Luxemburg ein symbolischer Trennstrich gezogen. Die Heimat war meilenweit fort, hoffentlich zusammen mit einem Haufen täglicher Sorgen. Okay, Luxemburg war, alles in allem gesehen, im Grunde kein richtiges Ausland. Für das Gefühl war es mehr eine Art Vorgarten Belgiens, dank dynastischer Inzucht verwaltet von der Verwandtschaft, seit Josephine Charlotte, Schwester Baudouins I., des Königs der Muschelesser, Urgroßnichte Leopolds II., des royalen Negerinnenschänders und Sklaventreibers vom Kongo, mit ihrem großherzoglichen Hintern den luxemburgischen Thron wärmte. Und trotz alledem: Ab jetzt waren andere Gesichter auf Geld und Briefmarken zu sehen und Urlaubsgefühle daher vollkommen am Platz. Wessen Gedanken noch daheim auf dem Sofa klebten, der brauchte nur den Kopf aus dem Fenster zu halten und einen deftigen lëtzebuergeschen Satz wie diesen auf sich wirken zu lassen: »Këndel ass e Gebäck dat zu Lëtzebuerg laanscht d’Musel op Neijooschdag de Kanner vun hirem Pätter und hierer Giedel geschenkt gëtt…« Das brachte den Geist zwangsläufig in vagabundierende Stimmung. Zumindest, wenn man sich von so viel sprachlicher Exotik nicht gleich ans andere Ende des Planeten katapultiert fühlte.
Luxemburg: ganz nah, solange die lokale Bevölkerung nur ihren Mund hielt.
Endlich den schon nach Achselschweiß riechenden Bus verlassen dürfen! Die Nichtraucher waren selig, etwas frische Luft zu bekommen. Wer seine Blase während der letzten Stunde nur noch durch Selbsthypnose hatte beherrschen können, bekam jetzt die größten Probleme. Denn so geht es öfter, wenn man ganz dringend muss: Den Sieg schon vor Augen, droht der Kampf um die trockene Hose verloren zu gehen, als interpretiere der Blasenschließmuskel das Mut machende Beinahe zu früh als ein gestattendes Jetzt. Zur Stunde der krampfhaft zusammengekniffenen Knie fuhr der Van-Boterdael-Bus auf einen geräumigen Parkplatz, für eine Pause von gut fünfundvierzig Minuten.
Der Körper ist ein seltsames Ding: Von oben gießt und stopft man alles hinein, was kurz darauf unten wieder herauskommt. So behütet die Natur ihre Geschöpfe vor Langeweile. Und so gab es auf dieser Reise auch Pausen, in denen man beiden Extremen des Metabolismus die nötige Aufmerksamkeit schenken konnte. Doch das hier war nicht einfach eine Tankstelle, nein, es war eine Tankstelle in Luxemburg, dem Steuerparadies. Und das bedeutete, dass zwischen Nachfüllen und Entleeren nach Herzenslust im angrenzenden »Minimarkt« konsumiert werden musste.
War Einkaufen normalerweise eine eher weibliche Domäne, wobei Männer sich lieber zu den
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