Die Letzte Liebe Meiner Mutter
Hunden gesellten und vor der Tür warteten, hatte die luxemburgische Regierung erkannt, dass ein maßvolles Steuerregime den Zusammenhalt der Geschlechter zu fördern vermochte. Und mit Erfolg: Durch die staatliche Politik niedriger Mehrwertsteuer auf sowohl Parfüm als auch Alkohol waren nirgends auf der Welt die Geschlechter so gleichmäßig über die Verkaufsflächen verteilt wie eben hier, in Luxemburg.
Während Rudy vorausschauend den Bus mit steuerbegünstigtem Treibstoff befüllte, spurtete die Reisegruppe nach draußen, zu einem kleinen Rennen gegen die Zeit. Fünfundvierzig Minuten, sich den Bauch vollzuschlagen, auf die Toilette zu gehen und Einkaufstüten zu füllen.
Martine war sich nicht sicher, ob sie auch aussteigen sollte. Sie traute der Sache nicht, schließlich blieben die Koffer im Bus. Was, wenn sich jemand damit aus dem Staub machte? Oder der Busfahrer einfach weiterfuhr, ohne sie?
Übertreiben? Martine? Sie hatte schon oft zugehört, wenn ihre Arbeitskolleginnen in der Pause, den Mund voller Pralinen, einander Geschichten auftischten, die nur das Schlechteste im Menschen bestätigten. Doch zuletzt schrie auch Martines Blase nach Erlösung, und außerdem hatte sie Hunger. Sie, der Schutzengel aller Mütter, die Mater familias in Technicolor, hatte daheim treusorgend Fresspakete geschnürt. Brötchen vom Bäcker Vennema, erstklassig belegt mit leckerem Presskopf. Trinktüten von Capri-Sonne, die Lieblingslimonade für die ganze Familie. Und speziell für ihren Jimmy: Milchbrötchen mit ungesundem süßem Zeug, das ihm obendrein die Zähne verdarb, wonach er aber verrückt war. Schließlich hatte der Junge auch Urlaub, und er war in der Schule so fleißig gewesen! Wenn er sich angestrengt hatte, musste er doch auch mal gelobt werden, nicht wahr? Gelobt und belohnt. Doch all die Leckereien lagen jetzt unten im Koffer, im Gepäckraum des Busses, und Martine wagte es nicht, den Busfahrer wegen so was Nebensächlichem zu bitten, noch mal die Türen zu öffnen. Darum, tja, mussten sie wohl oder übel nach draußen, um an der Tankstelle ein paar skandalös teure, nach nichts schmeckende Sandwiches zu kaufen, plastikverpackte Schaumgummidreiecke, belegt mit Käse, der schon seit Wochen in seinem Biotop vor sich hin schwitzte. Dazu ein chemisch von Läusen befreites Blatt Kräuselsalat, um auch die Gesundheitsfreaks zu verführen. Für jeden so ein Sandwich, und das Tagesbudget war zur Hälfte schon futsch.
»Und dabei hab ich so leckere Brötchen mit Presskopf geschmiert, die liegen alle im Koffer!«
»Mama!«
»Was ist?«
»Ich mag das Sandwich nicht!«
»Das hat viel zu viel Geld gekostet, das isst du jetzt!«
Um das Elend vollzumachen, musste für die Toilettenbenutzung auch noch bezahlt werden. Ganz neu war die Idee nicht, schon Kaiser Vespasian hatte 72 nach Christus eine städtische Latrinensteuer erhoben, um den Bau des Kolosseums zu finanzieren, nützliche Informationen für einen Fragenerfinder im Quiz, doch Martine war einfach entsetzt, knapp zweitausend Jahre nach diesem römischen Verrückten zwölf luxemburgische Franc für einen sanitären Besuch berappen zu müssen!
»Zwölf Franc, für einmal pinkeln! Das sind verdammt noch mal sechsunddreißig Franc für uns drei, Gruppentarif kennen die ja hier nicht! Und das nennt sich dann Steuerparadies!«
Doch wie gesagt, sie hatte keine Wahl. Außerdem durfte sie nicht vergessen, dass diese Reise die ersten Namen für den Geburtstagskalender liefern sollte, der eines bald anbrechenden Tages bei ihnen zu Hause an der Toilettentür prangen würde. Mit anderen Worten, während der Pausen hatten sie so wenig wie möglich im Bus zu suchen, hatten sich unters Volk zu mischen und ihren Reisegefährten hinterherzudackeln, in den Reisesupermarkt, wo man sich vor Lachen den Bauch hielt ob der niedrigen Preise für Spirituosen in diesem liberalen Walhalla. Die Leute, die aus dem Geschäft herauskamen, waren beladen mit stangenweise wahnsinnig billigen Zigaretten, überglücklich, auf diese Weise wieder was für den Lungenspezialisten beiseitelegen zu können. Die Flaschen mit Wodka, Whisky und Fruchtlikör klirrten in den Einkaufstüten. Ganz eindeutig wurde Geld verprassen hier von vielen als Vergnügen gesehen und der Supermarkt neben der Tankstelle als ein regelrechter Programmpunkt für sich. Wenn nicht gar als Höhepunkt der ganzen Reise!
Doch Alkohol interessierte Martine nicht. Wie kaum ein anderer wusste sie sehr gut, warum.
Parfüm
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