Die Letzte Liebe Meiner Mutter
Keller besaßen, sahen die Eltern nicht ein, warum sie sich wie all die anderen in den Nachkriegskonsumrausch stürzen und einen Kühlschrank kaufen sollten. Wie kamen sie denn dazu? Ein Kühlschrank verbrauchte 590 kWh zusätzlich pro Jahr, ein Fünftel des gesamten Verbrauchs! Darum: Nein, danke. Toilettenpapier wurde erst eingeführt, als ihr Vater sein Zeitungsabonnement gekündigt hatte (»Es steht doch immer dasselbe drin, und meist ist es auch noch gelogen!«) und das Papier der Werbesendungen sich als zu glatt erwies, gedruckt mit viel zu fettiger Tinte. Keinerlei Nahrung wurde je weggeworfen, Kartoffeln nur mit der Schale gekocht. Das Brot konnte schon flauschig sein vor Schimmel, es musste gegessen werden. Wenn auf den Tischen der Reichen Roquefort als Delikatesse prunkte, warum als einfacher Mann dann vor einer Schnitte verschimmelten Weizens die Nase rümpfen? Saure Milch wurde zu einem Gericht verarbeitet, das selbst fanatische Christen aus Tradition nur zu Karfreitag aßen, aus Solidarität mit dem Leid ihres Erlösers.
Wer in einer solchen Familie aufgewachsen war, musste einen Schaden davontragen. Fragte man Martine nach dem wichtigsten Werkzeug der Hausfrau, hätte sie ohne zu zögern »Schere« gesagt, die Schere, mit der man Rabattgutscheine in rauen Mengen ausschneiden konnte. Schuhkartons voller Rabattgutscheine besaß sie, die im Schrank neben der Keksdose mit den Mantelknöpfen aufbewahrt wurden. Sie konnte hamstern für mindestens tausend Winter, wusste genau, wo der Blumenkohl einen Centime billiger war, und machte auf dem Fahrrad freiwillig einen Umweg von fünfzehn Kilometern, wenn sie dadurch in irgendeinem Laden auch nur ein Fitzelchen sparen konnte.
Erbliche Vorbelastung allein konnte Martines Sparzwang allerdings nicht erklären, und zweifellos hatte sich dieser Charakterzug erst richtig herausgebildet, als sie ihren Lohn gut zehn Jahre lang gegen den unstillbaren Durst ihres Ex verteidigen musste. Um sich und ihr Kind kleiden zu können, jeden im Haushalt vor Unterernährung zu retten und den Vermieter bei Laune zu halten, blieb ihr nichts anderes übrig, als geheime Depots anzulegen, hier und da was beiseite zu schaffen und überall etwas abzuknapsen, sobald sich ihr die Gelegenheit bot. Denn was ihr Ex in die Finger bekam, trug er sofort in die Kneipe, wo er den großen Herrn markierte, großzügig Runden schmiss und sich einladen ließ, Billard spielte, bis die Kreide verbraucht war, und Karten, bis er die Asse doppelt sah. Doch letztlich waren all ihre Mühen sinnlos gewesen, das wusste Martine. Ihr Sohn hatte mehr Flicken als Hose um seine dürren Beine getragen.
Aber okay, das war jetzt – großer Seufzer – ein für alle Male vorbei. Zum ersten Mal seit langer Zeit konnte Martine wieder einkaufen, ohne dass ihr die Galle hochkam. Gerade hatte sie etwas gespart, kein Vermögen, eine kleine Rücklage für kleine Notfälle, da überlegte ihre neue Flamme auch schon, es für eine Reise auszugeben.
O Mann!
Kapitel 3
A n welches Reiseziel hatte Wannes denn überhaupt gedacht?
Es war die Zeit, als jede Familie mit nur ein wenig Selbstrespekt ihren Urlaub in Spanien verbrachte. Unterstützt von dem Umstand, dass Francisco Paulino Hermenegildo Teódulo Franco y Bahamonde Salgado Pardo, besser bekannt als General Franco, sein Leben ausgehaucht hatte und die Nation sich noch während der Funeralien für den faschistischen Machthaber von einer Militärdiktatur in eine parlamentarische Monarchie transformiert hatte, lernte Europa sehr schnell, mit Peseten zu zahlen, und im Sommer flog eine Chartermaschine nach der anderen ins Land des sterbenden Stiers. Anständige Leute verprassten ihr Urlaubsgeld auf Teneriffa, Mallorca, Ibiza oder einem x-beliebigen Badeort zwischen Costa Brava und Costa del Sol. Wer die Welt kannte, trank sich dort mindestens einmal einen tierischen Kater mit Sangria an, informierte mit Ansichtskarten seinen gesamten Bekanntenkreis von dieser Reise, Karten, auf denen ein Bataillon unbekleideter Titten das kulturelle Erbe Spaniens anpries, besuchte einen Flamenconachmittag und kaufte sich folgende fünf Souvenirs: eine Lederjacke, ein Paar handgeschnitzter Kastagnetten, in die Viva España eingraviert war, ein druckfrisches Reprint eines historischen Plakats mit einem Torero, einen strohtrockenen, mit authentischem iberischem Fliegendreck besprenkelten Schinken mit Echtheitszertifikat sowie ein paar Pappdias spanischer Landschaften für den heimischen
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