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Die letzte Lüge: Thriller (German Edition)

Die letzte Lüge: Thriller (German Edition)

Titel: Die letzte Lüge: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter de Jonge
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sozialen Wohnbausiedlung arbeitet, denn außer seiner Sense hat er auch noch eine.45er im Gepäck. Dineen, der O’Hara bisweilen mit Schauermärchen erfreut, die davon handeln, dass irgendwelche Phantome Eindringlinge abwehren, ist der festen Überzeugung, der Sensenmann sei so real wie der Mann, der den Strom abliest.
    Endlich erhebt sich einer der Tätowierkünstler namens Vincent und tritt an O’Hara heran. »Egal, was Sie sich aussuchen, Sie können gar nichts falsch machen«, sagt er. »Bei Rothaarigen explodieren die Farben.«
    »Hab mich noch nicht richtig durchringen können«, erwidert O’Hara, »aber die Versuchung ist groß. Im Ernst.« Statt eines zerknitterten Fotos von einer Rose oder einem Schmetterling zieht sie ihre Dienstmarke und ein Bild von Pena aus der Tasche. Sie erklärt den Grund ihres Besuchs.
    »Der Name des Mädchens ist Francesca Pena. Sie wurde vergangene Woche ermordet und wir sind sicher, dass derjenige, der sie umgebracht hat, ihr ein kleines Tattoo von der Pobacke geschnitten hat. Sie wohnte hier um die Ecke, vielleicht hat sie es sich hier stechen lassen. Muss etwas über zwei Monate her sein. Ende September.«
    Vincent sieht in seinen Büchern nach und kommt kopfschüttelnd zurück. »In dem Monat haben wir insgesamt nur elf Tätowierungen gestochen. Selbst wenn sie’s unter einem anderen Namen hat machen lassen, würde sich einer von uns an so ein hübsches Mädchen erinnern.«
    O’Hara wundert sich nicht, dass bei Hardcore wenig los ist. Auf dem Rückweg von Rikers Island macht sie kurz zu Hause Halt und druckt sich die Namen der 37 Tattooshops zwischen Union Square und Canal Street aus. Es fällt ihr schwer zu glauben, dass in der Stadt überhaupt noch unbemalte Epidermis zu finden ist. Ausgehend von Penas Adresse in der Orchard Street verbringt O’Hara den Rest des Abends damit, die Läden auf ihrer Liste abzuklappern. Sie besucht Tätowierer, die sich eine Ecke im Tabakladen auf der St. Marks als Studio eingerichtet haben, und sucht High-Tech-Unternehmen auf, die so kühl und aseptisch wie Operationssäle sind. Die meisten fallen aber irgendwo in die Kategorie zwischen einem 24-Stunden-Waschsalon und einer Kneipe. O’Hara ist noch lange nach Mitternacht unterwegs. Um etwa halb drei Uhr morgens, als in den Tattooshops von Manhattan niemand mehr ans Telefon geht, fährt sie von Chinatown nach Brooklyn und weiter Richtung Williamsburg.
    Auf der Bedford Avenue ist noch einiges los, aber die zugigen Straßen am Fluss sind menschenleer. Auf einem verlassenen Abschnitt der Wythe entdeckt O’Hara zwischen zahlreichen Lagerhäusern über einem Kellereingang einen wie ein Halloweenkürbis orange leuchtenden Totenschädel an einer quietschenden Kette. Darüber schaukelt das grob geschnitzte Holzschild von Bad Idea Tattoos im Wind.
    Im Ladeninneren erfüllt das an Heuschrecken erinnernde Summen der Tätowiernadel den Raum. Ein riesiger Mann, dessen kahler Schädel ebenso verziert ist wie der von Queequeg, dem Harpunier in Melvilles Moby Dick, beugt sich wie ein Vampir über den blassen Hals eines dünnen jungen Rockers. Ein Mädchen, das an jeder sichtbaren Stelle tätowiert oder gepierct ist, begrüßt O’Hara am Tresen. Sie ist nicht älter als 17 Jahre, so groß und schön wie ein Fotomodell. O’Hara gibt sich Mühe, nicht darüber zu erschrecken, wie gründlich und eindeutig sich das Mädchen mit ihrem Look für alle anderen Berufe und Tätigkeiten disqualifiziert hat.
    »Theo«, ruft das Mädchen, und als der Tätowierkünstler sich von seinem Kunden abwendet und in seinem Rollstuhl an den Tresen heranfährt, wird es ganz still im Raum. Zum zwanzigsten Mal in jener Nacht zieht O’Hara das Bild von Pena aus der Tasche und Theo greift mit der größten Hand, die sie je gesehen hat, danach.
    »Ich dachte, die fällt mir in Ohnmacht«, sagt Theo. »War ihr erstes Tattoo und sie wollte es nur so groß, dass man’s gerade so lesen konnte. Aber ich hab mich geirrt und das Tattoo hat Recht behalten. Die Kleine hatte ein großes Herz, von ihrem puerto-ricanischen Weltklassearsch mal ganz zu schweigen.«
    Trotz seiner Verbrechervisage führt Theo ein straffes Regiment und bewahrt eine Abbildung jeder Arbeit in seinem Laptop auf. Ein Drucker spuckt ein Faksimile dessen aus, was er Pena auf den Hintern tätowiert hatte. McLains Erinnerung und Theos Anspielung entsprechend war der Entwurf herzförmig. Aber in der Mitte befand sich kein S sondern ein $ und drum herum sechs Buchstaben.

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