Die letzte Lüge: Thriller (German Edition)
Frauen.«
»Haben sie auch Namen?«
»Deine alten Freundinnen: Deirdre Tomlinson und Madame Evelyn Lee.«
34
O’Hara betrachtet die unebene Oberfläche ihres Küchentischs. Als sie ihn letzten Sommer vom Flohmarkt nach Hause schleppte, hielt sie ihn für einen wunderbaren Fund. Jetzt allerdings sieht sie mit absoluter Gewissheit, dass er für den Platz, an dem er steht, einige Zentimeter zu groß ist. Ein wackliges Schrottmöbel.
Im Empire hatte sich O’Hara bestens benommen und über vier Stunden lang an nur drei Martinis festgehalten. Als sie aber nach Hause kam, war sie wegen K.s Erkenntnissen viel zu aufgedreht, um schlafen zu können. Sie schenkte sich einen Absacker nach dem anderen ein – und zwar so lange, bis ihre bereits angebrochene Flasche Bourbon leer war. Vor drei Uhr nachmittags kam sie nicht aus dem Bett. Jetzt ist es fünf und abgesehen von den unabsichtlich gewonnenen Einsichten ihren Küchentisch betreffend, wäre sie kaum in der Lage gewesen, zu sagen, was sie in den vergangenen zwei Stunden gemacht hatte. Am Herd schenkt sich O’Hara Kaffee in ihren Becher nach und versucht sich erneut auf die beiden ungewöhnlichen Stripclub-Stammgäste zu konzentrieren. Doch ihr verdattertes Gehirn stolpert von einer Frage zur nächsten, als handele es sich um Möbelstücke in einem dunklen Raum. Jedes Mal wenn sich O’Hara die Szene im Privilege vorzustellen versucht, kommt nur Slapstick dabei heraus: Bei dem Versuch, Penas/Hollys Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, fallen die beiden Frauen laut kreischend von den rosafarbenen Kunstlederhockern.
Saßen die beiden nebeneinander oder an entgegengesetzten Enden der hufeisenförmigen Bar? War es möglich, dass sie nichts voneinander wussten? Nach so vielen Montagabenden, an denen beide dort waren, scheint das unwahrscheinlich. Aber wusste Tomlinson überhaupt, dass die auf den ersten Blick spröde Koreanerin mit der schicken Ponyfrisur Puffmutter war? Und wusste Lee, dass ihre krankhaft dünne Rivalin stellvertretende Verwaltungsdirektorin der NYU war? Hatten sie sich abwechselnd um die gebildete Athletin bemüht oder ganz offen versucht, sich gegenseitig zu überbieten und Pena unzählige Zwanziger unter den ausgeleierten G-String geschoben? Wäre das nicht ein hübsches Bild für das Jahrbuch der NYU?
Für beide Frauen wäre es ein echter Coup gewesen, Pena an Land zu ziehen, das weiß O’Hara. Tomlinson und die NYU hatten jedes andere Spitzencollege des Landes ausgestochen und in einer Stadt, die niemals schläft, hätte Lee ebenso vielen Escort-Agenturen den Rang ablaufen können. Bei der Trauerfeier hatte Tomlinson behauptet, sie habe so oft angerufen, weil sie das schreckliche Gefühl hatte, Pena habe sich mit den falschen Leuten eingelassen. Dabei hatte es sich ganz eindeutig um mehr als eine böse Ahnung gehandelt. Aber vielleicht hatte sie im Wesentlichen die Wahrheit gesagt – und sie und Lee hatten Engel und Teufel gespielt. Tomlinson tauchte jede Woche auf, um Pena so zu beschämen, dass sie wieder in ihre Klamotten stieg und zur Schule ging, während Lee versuchte, eines ihrer besten Zugpferde tiefer ins Sexgeschäft hineinzuziehen.
Nach einer Weile dröhnen die verwirrenden Szenarien ebenso heftig in O’Haras Schädel wie die Drinks der vergangenen Nacht. Sie blickt auf und betrachtet die ausgedruckte Vorlage für Penas Tätowierung, die mit einem Magneten von Riverdale Pizza – an sich schon gewagt, das als Pizza zu bezeichnen – befestigt an ihrem Kühlschrank hängt.
Das Dollarzeichen in der Mitte des Herzens findet sie wie immer beklemmend, aber das T, das B und das D links und das H, das T und das B rechts davon scheinen genau so bedeutungslos wie sonst auch. Weder Tomlinsons Initialen noch die von Lee lassen sich aus den Buchstaben zusammensetzen. Um sieben Uhr gibt O’Hara Bruno zu fressen und nimmt ihn für seinen Spaziergang an die Leine. Auf dem Rückweg macht sie nochmal an ihrem Wagen Halt und holt die Plastiktüte mit der Fanpost aus Penas Spind. Sie liest den ersten Brief noch einmal und breitet die anderen vier auf ihrem wackligen Küchentisch aus.
2. Ich vermisse dich. Die Pizzas und mein Bett sind zu groß, wenn du nicht da bist.
3. Niemand wird dich je so berühren wie ich.
4. Ich vermisse dich so sehr, dass ich es schmecken kann.
5. Was ist los, F.? Ich dachte, du hättest meine Zunge gerne in dir gespürt.
Obwohl die Nachrichten undatiert sind, legt O’Hara sie in der Reihenfolge aus, in der sie ihrer
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