Die letzte Lüge: Thriller (German Edition)
arbeitet O’Hara beide Seiten der Orchard in nördlicher Richtung ab. Als ein Streifenwagen mit Chamberlain und einem neuen Beamten, Ivan Rodriguez, an ihr vorbeirollt, sehen die beiden direkt durch sie hindurch. Von der Delancey bis zur Rivington und von der Rivington zur Stanton findet sie nichts, aber von der Stanton bis zur Houston landet sie drei neue Treffer. Den ersten mit einer Kamera in einem Brautmodengeschäft namens Adrienne’s, die beiden anderen bei American Apparel, einem großen neuen Klamottenladen an der Ecke Orchard und Houston, dessen strahlend weiße Wände mit Erotikbildern der gesund, frisch und absolut durchschnittlich aussehenden Mitarbeiterinnen tapeziert sind. Die Bilder der ersten Kamera zeigen Pena, die noch immer in demselben entschlossenen Tempo Richtung Norden geht. Auf dem Film der zweiten Kamera ist allerdings zu sehen, dass sie links in die Houston abbiegt und die dritte, die an der westlichsten Ecke von American Apparel befestigt ist, zeigt, wie Pena den Bürgersteig verlässt und die Allen Street in westlicher Richtung überquert. In der Mitte der Straße verschwindet Pena aus dem Bildausschnitt. O’Hara flitzt aus dem Laden und findet die Stelle, an der Pena den Bürgersteig verließ. Die von ihr eingeschlagene Richtung über die Allen Street hinweg führt direkt zum Eingang der U-Bahnstation 2nd Avenue.
39
Als O’Hara die Stufen herunterrennt und sieht, wie groß die Station ist – ringsum erstrecken sich Gänge und Bahnsteige bis in unabsehbare Fernen -, sinkt ihr Mut. Wieder in ihrem Hotelzimmer, wo sie endlich die Füße von den verfluchten italienischen Stiefeln befreit und zum Auftauen auf die Heizung legt, kann sie wieder klarer denken. Von der 2nd Avenue kann man mit einer Bahn der Linie F oder V in südlicher Richtung nach Borough Hall und nach Brooklyn fahren. Oder aber in nördlicher Richtung bis zur 34th Street, zum Rockefeller Center und nach Queens. Da Pena zehn Minuten lang in nördlicher Richtung zu Fuß gegangen sein muss, scheint Letzteres wahrscheinlicher. Vor 9/11 wäre es ein logistischer Alptraum, wenn nicht gar vollkommen unmöglich gewesen, Filmmaterial aus den Überwachungskameras der U-Bahnbehörde zu bekommen. Jetzt gibt es zumindest eine zentrale Stelle bei der Verkehrspolizei am Union Square, wo Beamte das aufgezeichnete Filmmaterial aus allen Kameras des U-Bahnnetzes einsehen können. Unter den gegebenen Umständen kann O’Hara nicht riskieren, selbst dorthin zu gehen.
»Dar, du hast das überhaupt nicht mehr im Griff«, sagt Krekorian, als sie ihn endlich am Handy hat. »Callahan und Lowry lassen mich nicht mehr aus den Augen.«
»Tut mir leid, K., aber ich stecke schon viel zu tief drin. Wenn ich jetzt aufhöre, kann ich meine Karriere vergessen.«
»Ja, und wessen Schuld ist das?«
»Ich bin eine Null, Serge. Schon immer gewesen.«
»Totaler Blödsinn.«
»Aber die Sache ist die, ich mache Fortschritte. An ihrem letzten Abend, als Pena McLain in ihrem Apartment sitzen ließ, stieg sie um 20.43 Uhr an der 2nd Avenue in die U-Bahn und fuhr höchstwahrscheinlich Richtung Norden.«
»Wie zum Teufel hast du das rausgekriegt?«
»Sie muss ja irgendwohin gegangen sein, nachdem sie ihre Wohnung verlassen hatte. Ich habe mal auf Norden getippt und sie auf vier verschiedenen Kameras erwischt. Die Aufzeichnungen von der letzten zeigen sie, wie sie auf die U-Bahnstation zugeht.«
»Wieso hälst du das für so wichtig?«
»Aus verschiedenen Gründen, aber vor allem deshalb, weil ich sonst nichts habe.«
»Muss ein beeindruckender Anblick gewesen sein, gestern Abend in der Bibliothek.«
»Das Geräusch vom Aufprall war schlimmer.«
»Superakustik da drin, oder?«
»Die beste. Aber egal, wie verstört Tomlinson war, ich kann mir nicht vorstellen, dass eine 40 Kilo leichte Magersüchtige einen Bretterzaun aufbricht, Pena auf die Baustelle und wieder hinauszerrt und anschließend ihren toten Körper auf einen Transporter lädt.«
»Du willst also, dass ich herausfinde, an welcher Station Pena aus der U-Bahn stieg.«
»K., das ist meine einzige Chance.«
»Immer mit der Ruhe, Dar. Meine Schicht fängt erst um vier Uhr an. Ich fahr jetzt in die Überwachungszentrale. Muss ja keiner wissen, dass ich das für dich mache.«
»Und wenn sie’s rauskriegen?«
»Dann geh ich in die freie Wirtschaft und scheffele mehr Geld als mein Bruder.«
»Zur Abwechslung haut er dann dir eine rein.«
»Das will ich sehen.«
»Hör zu …«, sagt
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