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Die letzte Lüge: Thriller (German Edition)

Die letzte Lüge: Thriller (German Edition)

Titel: Die letzte Lüge: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter de Jonge
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Beinahe jeder Laden ist mit einer Überwachungskamera über der Tür ausgestattet und einige davon werden wahrscheinlich sogar funktionieren.
    Nach einem leeren Buchladen, dessen auffällig platzierte Kamera offensichtlich nur eine Attrappe ist, und einer Bodega, deren Betreiber die Bänder jeweils nur wenige Tage aufbewahrt, versucht O’Hara ihr Glück bei Joe’s Drapery, einem florierenden Textilwarengeschäft, das ein ganzes Gebäude im Südosten der Kreuzung Orchard und Delancey einnimmt. Als ein Verkäufer mit schlechtem Toupet auf sie zueilt, wehrt ihn O’Hara mit ihrer Dienstmarke ab und erklärt, was sie sucht.
    »Dann wollen Sie Seth sprechen, unseren Sicherheitschef«, sagt der Mann mit einem Augenzwinkern. »Seth übt allerhand Funktionen aus. Seine Lieblingsrolle ist allerdings die des künftigen Erben.«
    Er führt sie in ein Kellerbüro, in dem ein superlässiger Mittzwanziger mit makelloser Bettfrisur auf einem schäbigen Sofa sitzt und viel Spaß mit seinem Handy hat. An der Wand über ihm hängen zwei Fernsehbildschirme, jeder davon ist in vier Viertel geteilt und zeigt die Bilder, die die acht im Geschäft verteilten Videokameras aufzeichnen.
    O’Hara stellt sich als Detective vor und deutet auf die Liveaufnahmen von der Orchard Street ganz oben rechts in der Ecke eines der Bildschirme, wo gerade Fußgänger zu sehen sind, die in nördlicher und südlicher Richtung unterwegs sind. »Haben Sie noch die Aufzeichnungen dieser Kamera vom Abend vor Thanksgiving? Das war der 23.«
    »Müssten eigentlich noch da sein. Wir versuchen sie möglichst 21 Tage lang aufzubewahren, dann werden sie überspielt.« Der Junge deutet auf eine Kiste in der Ecke. »Bedienen Sie sich.«
    »Oder«, sagt O’Hara und schnuppert in die Luft, als käme sie von der Drogenfahndung, »Sie heben Ihren verwöhnten Arsch und helfen mir. Das fände ich viel besser.«
    Er springt vom Sofa auf und zieht etwas aus der Kiste, was er für das richtige Video hält, und steckt es in den Videorekorder. Während das Band zur Mitte spult, torkeln Fußgänger an einem sonnigen Nachmittag auf der Straße vorüber. Als er endlich auf Play drückt, spazieren sie sehr viel eleganteren Schrittes in die entgegengesetzte Richtung. Er drückt auf Pause und liest die Zeitangabe am oberen Bildrand rechts: 11:23:13:07.
    »Das ist schon mal der richtige Tag«, sagt O’Hara. »Jetzt spulen Sie vor bis 20.20 Uhr.«
    Das tut er, doch das Band ist um 18.42 Uhr zu Ende, fast zwei Stunden zu früh. Er legt das nächste Band ein, aber laut Zeitangabe zeigt es den darauffolgenden Tag.
    »Verdammte Scheiße«, sagt O’Hara, »Sie sind gerade dabei, es zu überspielen.«
    Seth springt an die beiden Aufnahmegeräte in der Ecke, holt ein Band heraus und wirft O’Hara einen ängstlichen Blick zu. Dann legt er die Cassette in sein Abspielgerät und spult vor, bis der aktuelle diesige Vormittag abrupt vom Abend des 23. November abgelöst wird. Die Zeitangabe lautet 11:23:19:27.
    »Keine Sorge«, sagt O’Hara. »Wir haben es geschafft, eine Stunde ist noch Luft.«
    Seth spult auf 20.20 Uhr vor und drückt auf Play.
    In der Ecke des Bildschirms spazieren entspannte New Yorker am Ladeneingang in der Orchard Street vorbei. Sie nach all der Spulerei in Echtzeit zu beobachten ist, als wollte man Gras wachsen sehen, zumindest bis die Uhr 20.38 anzeigt und Francesca Pena ins Bild läuft.
    »Stopp«, sagt O’Hara. »Spulen Sie mal ein kleines Stück zurück, stopp, und spielen Sie das nochmal ab.« Pena taucht in ihrer dunkelroten Jacke auf, die Hände in den Taschen und den Oberkörper gegen den Wind gestemmt. Mit ihren kurzen schwarzen Haaren und dem fein geschnittenen Gesicht sieht sie Audrey Hepburn ein kleines bisschen ähnlich. »Scharfe Braut«, sagt Seth.
    »Tote Braut«, sagt O’Hara, die Pena zum ersten Mal lebendig sieht.
    Seth spielt die Stelle noch dreimal ab. An Penas Körperhaltung und der Art, wie sie sich gegen die Kälte brüstet, glaubt O’Hara erkennen zu können, dass Pena einen längeren Fußmarsch vor sich hat und nicht nur ein paar Straßenecken weiter will. Sie glaubt auch, erkennen zu können, dass Pena bereits spät dran ist.
    »Und, Seth, was haben Sie vor, wenn das alles erst mal Ihnen gehört?«, fragt O’Hara auf dem Weg zur Treppe.
    »Was glauben Sie wohl? Ich mache den Laden dicht – unterschreibe einen Vertrag mit einem Bauunternehmer und dann kommen hier Eigentumswohnungen rein.«
    »Blöde Frage.«
    In den folgenden beiden Stunden

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