Die letzte Lüge: Thriller (German Edition)
O’Hara, aber Krekorian merkt, dass sie vor Dankbarkeit und Erschöpfung den Tränen nahe ist und fällt ihr ins Wort. »Ein paar Stunden werde ich mindestens brauchen. Ich ruf dich von dort aus an. Und bleib von der Straße weg. Lowry lässt nach dir fahnden – weil du laufende Ermittlungen behinderst und dich als Zeugin der Befragung entziehst.«
»Scheiß auf Lowry.«
»So sehe ich das auch.«
40
In den darauffolgenden zwei Stunden studiert O’Hara genaustens das Mobiliar und die Ausstattung ihres Doppelzimmers im Howard Johnson’s Express Inn in der East Houston Street 135. Sie macht das Bett und hängt ihre neuen alten Klamotten auf, wirft die Tüte weg, in der sie ihr Frühstück nach oben getragen hat, und spült die leeren Bierflaschen mit einer Sorgfalt aus, als handele es sich um Familienerbstücke. Sie ruft unten am Empfang an, lässt zwei weitere Nächte von ihrer Kreditkarte abbuchen und bringt knapp zehn Minuten damit zu, ihre Unterwäsche im Spülbecken zu reinigen und mit dem winzigen, gegen Diebstahl gesicherten Fön zu trocknen.
Als sie es schließlich gar nicht mehr aushält, nimmt sie die Fernbedienung und schaltet den Fernseher ein. Die Richter Alex und Judy und drittklassige Talkmoderatoren versuchen verzweifelt, aus den geschmacklosen Missgeschicken anderer Leute so etwas wie Unterhaltung zu machen. Die Soaps sind wie Pornos ohne Sex. Ihr großes Glück ist, dass das Hotel zu billig ist, um über Minibars in den Zimmern zu verfügen. Es fällt ihr schon schwer genug, sich ein Sixpack vom Laden an der Ecke zu verkneifen.
Irgendwie übersteht sie die zwei Stunden und zehn Minuten, bis Krekorian wieder anruft.
»Klingt, als hättest du auch den Fernseher laufen«, sagt Krekorian. »Ist es Oprah?«
»Für Oprah würde ich mir den großen Fußzeh abhacken«, sagt O’Hara. »Die kommt aber erst ab vier.«
»Dar, wir haben Pena auf Band, wie sie um 21.06 Uhr an der 168th und Broadway aus der U-Bahn steigt. Und sie rennt.«
O’Hara schaltet den Fernseher aus und starrt auf den leeren Bildschirm. Moreal und Consuela Entonces, die beiden Mädchen, die Pena von Big Sisters zugeteilt wurden, wohnen drei Straßen weiter. Tida Entonces, deren ehemals heroinsüchtige Mutter O’Hara erklärte, Pena habe ihren wöchentlichen Besuch wegen Thanksgiving ausfallen lassen und sei seit dem vorangegangenen Samstag nicht mehr bei ihnen gewesen. Wegen der fehlenden hundertelf Minuten war nun also mindestens schon dreimal gelogen worden.
»Dar, bist du noch dran?«
»Ich denke bloß nach. Serge, erinnerst du dich an die Mädchen von Big Sisters, von denen ich dir erzählt habe? Die wohnen auf der 170th und Fort Washington Avenue. Bleib, wo du bist und sieh dir die Kameras für die entgegengesetzte Richtung an. Ich will wissen, ob Pena auch wieder zurückfährt.«
O’Hara bleibt am Telefon und hört das Spulen eines Bands, dann macht es klick und Krekorian sagt: »Stopp.«
»Du hattest mal wieder den richtigen Riecher, Dar. Sie kommt um 21.14 Uhr auf der anderen Seite wieder rein und die beiden Mädchen sind bei ihr, sie hat eine an jeder Hand. Das sind sechs Straßenzüge hin und zurück plus die Treppen hoch und runter in acht Minuten. Ich weiß, sie war Läuferin, aber damit bricht sie alle olympischen Rekorde.«
»K., ich fahr los und rede mit Tida Entonces. Ruf mich sofort an, wenn du rausgefunden hast, wo sie ausgestiegen sind.«
O’Hara flitzt zwei Straßenecken weiter bis zur Allen Street und dieselben Treppenstufen herunter wie Pena vor nur 15 Tagen. Nachdem sie zehn Minuten auf einem leeren Bahnsteig gewartet hat, nimmt sie einen Zug der Linie F zur 34th Street, eilt weiter zur Penn Station und steigt nach weiteren qualvollen Warteminuten in einen Zug der Linie A. O’Hara ist der einzige Fahrgast in dem Abteil und während der Zug fast zwanzig Haltestellen abklappert, denkt O’Hara über Pena und ihre beiden Schützlinge nach. Wohin rannten sie? Oder wovor rannten sie weg? An der tief gelegenen 168th Street Station fährt O’Hara mit einem von vier Fahrstühlen langsam an die Erdoberfläche. Auf der Straße versucht sie, ihren Schritt zu beschleunigen, aber ihre Second-Hand-Stiefel tun ihr dabei keinen Gefallen.
Als sie die kurze Strecke bis zur Fort Washington Avenue 251 zurückgelegt hat, ist ihr T-Shirt durchgeschwitzt.
O’Hara kontrolliert ihr Handy – noch immer kein Anruf von K. – und wartet, bis sich ihr Herzschlag wieder beruhigt hat. Bislang hatte sie sich noch kaum
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