Die letzte Lüge: Thriller (German Edition)
Gedanken darüber gemacht, worauf sie Entonces ansprechen will, aber da eine Fahndung nach ihr läuft und Polizisten das Viertel absuchen, kann sie es sich nicht leisten, auf der Straße herumzustehen. Als ein Bewohner aus dem verschlossenen Eingangsbereich tritt, dreht sich O’Hara um und schiebt sich durch den Türspalt.
Im sechsten Stock erfüllt saurer Küchengestank den Gang. O’Hara versucht, am Fahrstuhl Zeit zu gewinnen, aber hinter einer schartigen Tür bellt sich ein Hund die Seele aus dem Leib und eine alte Frau, die Abfall zum Müllschlucker trägt, beäugt sie misstrauisch. Wie bei Tomlinson geht auch jetzt einfach alles viel zu schnell. Aber sie kann sich nicht länger hier im Gang herumdrücken. Sie geht an den geschwärzten Kacheln vorbei auf Nummer 6E zu.
Auf der anderen Seite der Tür schlurft ihr Entonces in Hauspantoffeln entgegen. O’Hara hört, wie das Abdeckplättchen aus Metall vom Spion geschoben wird. Dann öffnet sich die Tür, bleibt aber abrupt an der fünfzehn Zentimeter langen, vorgelegten Kette hängen.
»Ich hätte Sie fast nicht wiedererkannt«, sagt Entonces. »Sie sehen ganz anders aus.«
»Tida, darf ich bitte reinkommen?«
»Ist kein guter Zeitpunkt, Detective. Die Mädchen sind krank. Sie hätten vorher anrufen sollen.«
»Bitte, Tida. Wir müssen uns unterhalten. Es ist wichtig.«
Entonces macht die Kette los und O’Hara folgt ihr in den tristen Flur. Aus dem ersten Schlafzimmer ertönt die Neue von Justin Timberlake und dazwischen hört man die Stimmen der Mädchen.
»Die klingen aber nicht, als wären sie krank, Tida«, sagt O’Hara.
»Was soll ich sagen? Die beiden haben mich reingelegt.«
Die Küche ist wie immer makellos aufgeräumt und sauber, und das, obwohl die Mädchen den Nachmittag zu Hause verbringen. Entonces nickt Richtung Küchentisch. »Setzen Sie sich. Ich hab gerade Kaffee gekocht.«
»Danke. Ein Glas Wasser wäre mir lieber.«
O’Hara trinkt es, von Entonces’ argwöhnischen Blicken begleitet, in einem Zug halb leer.
»Tida, wieso haben Sie mich angelogen?«
»Wovon reden Sie?«
»Sie haben gesagt, Francesca habe die Mädchen in der Woche von Thanksgiving nicht besucht und sei seit dem vorangegangenen Samstag nicht mehr hier gewesen. Ich habe gerade herausgefunden, dass das nicht stimmt. Sie war an dem Abend, an dem sie ermordet wurde, hier. Hab ich Recht?«
Entonces Fassade stürzt ein. An einem guten Tag ist sie noch immer eine attraktive Frau, zumindest lässt sich erkennen, dass sie es einmal war. Wenn sie aber weint, machen sich die Jahre bemerkbar, die sie auf der Straße verbracht hat. O’Hara sieht zu, wie Entonces um zwanzig Jahre altert.
»Ich wollte nicht lügen, ich wollte Ihnen nicht verschweigen, dass Francesca am Mittwochabend mit den Mädchen weg war«, sagt Entonces, »aber ich musste. Laut Vorschrift durfte Francesca nur am Wochenende mit ihnen weggehen. In den Augen des Jugendamts bleibt ein Mittwochabend immer ein Werktag, Ausnahmen gibt es nicht. Die spielen einfach nicht mit. Denen ist jeder Vorwand recht, um mir meine Mädchen wegzunehmen. Auch wenn’s nur dreckige Teller in der Spüle sind. In deren Augen bin ich eine Versagerin, die es sowieso nicht verdient hat, ihre Kinder überhaupt noch einmal zugesprochen zu bekommen.«
Tida Entonces’ Erklärung ist nicht unplausibel und was das Jugendamt betrifft, hat sie sicher Recht. Beim geringsten Anzeichen von Ärger würden Moreal und Consuela abgeholt werden. Entonces weint leise und O’Hara merkt, wie ihr die Sache entgleitet. Versucht sie so verzweifelt einen Durchbruch in dem Fall zu erzielen, dass sie sich an jeden Strohhalm klammert und aus ein paar Aufnahmen auf einem Überwachungsvideo mehr macht, als sie eigentlich sind?
»Detective, Sie sehen nicht gut aus. Möchten Sie noch mehr Wasser?«
»Bitte«, sagt O’Hara und nimmt einen weiteren großen Schluck. »Was haben Francesca und die Mädchen an dem Abend gemacht?«
»Francesca ging nur kurz mit ihnen essen«, sagt Entonces. »Das war ihr Geschenk zu Thanksgiving.«
»Wo, Tida? Wo waren sie?«
Während sie im Kopf noch einmal die Zeiten durchgeht, hat O’Hara Mühe den Überblick zu behalten. Es haut nicht hin. Um 21.14 Uhr steigt Pena mit den Mädchen in die U-Bahn. Kaum eine Stunde später kauft sie am anderen Ende der Stadt CDs. Wann sollte da Zeit zum Essen gewesen sein? Bevor Entonces antworten kann, kommt Consuela, die Jüngere der beiden, in die Küche.
»Ich unterhalte mich mit der
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