Die letzte Lüge: Thriller (German Edition)
allesamt geschworen hatten, Holly nach ihrem ersten magischen Rendezvous nicht wieder gesehen zu haben.
O’Hara sucht in der Schreibtischschublade nach einem zweiten HoJo-Briefbogen, aber die hier geschäftsführenden Geizkragen legen nur einen bereit. Sie wendet das Blatt mit der Zeitachse und teilt die Rückseite in drei Spalten, jeweils eine für Stubbs, Delfinger und Muster, und schreibt alles auf, woran sie sich aus den drei Gesprächen erinnern kann. Als sie fertig ist, kann O’Hara nur Stubbs mit gutem Gewissen ausschließen. Wobei es sie rückblickend stört, dass Mayer alle Unterlagen fein säuberlich bereitliegen hatte. Mit durchschnittlichen Kenntnissen in Photoshop hätten sie sich allesamt mühelos fälschen lassen. Trotzdem kommt ihr Stubbs’ Alibi hieb- und stichfest vor. Sie kann sich nicht vorstellen, dass Mayer sein Stadthaus oder überhaupt irgendetwas für einen Klienten riskieren würde. Außerdem war Stubbs der Einzige, der sich freiwillig gemeldet hat. Wenn es darum geht, die eigene Karriere zu retten, scheint das ein geschickter Schachzug zu sein. Hat man tatsächlich jemanden umgebracht, erscheint es weniger sinnvoll.
Die Alibis der anderen stehen auf äußerst wackligen Beinen. O’Hara ist von sich selbst genervt, weil sie sich so schnell abspeisen ließ. Nur weil O’Hara überzeugt war, dass Delfinger eines solchen Mordes nicht fähig wäre, hatte sie ihn mit einem Kalendereintrag und einer Mautabrechnung davonkommen lassen. Und Musters Alibi wurde ausschließlich von einer festangestellten Mitarbeiterin bestätigt, die dringend auf ihren Job angewiesen ist. Während O’Hara noch versucht, sich die beiden letzten Gespräche klarer ins Gedächtnis zu rufen, klingelt das Telefon.
Es ist nicht ihr Handy. Es ist das Hoteltelefon und obwohl es nicht klug ist, nimmt sie ab. »Sie bekommen Besuch, ein Herr ist auf dem Weg nach oben zu Ihrem Zimmer«, sagt der Nachtportier vom Empfang. O’Hara sieht auf die Uhr, 00.15 Uhr. Es muss Krekorian sein, der gerade seine Schicht von 16 Uhr bis Mitternacht beendet hat. Aber die Schritte im Flur sind zu leicht für Krekorian und das Klopfen an der Tür zu zögerlich für einen Cop. O’Hara sieht durch den Spion und entdeckt das dunkle, widerborstige Haar von Sam Lebowitz. Ein Gesicht sieht sie nicht, denn er starrt auf den Teppich. Nervös, ihn zu sehen, und ungeduldig, ihn von seinen Qualen zu erlösen, zieht sie ihn ins Zimmer und küsst ihn auf den Mund. Dann fährt sie ihm mit der Zunge übers Ohr. »Das wollte ich schon lange mal machen.«
»Wirklich?«
»Ja.«
O’Hara gibt Lebowitz ein Amstel und springt unter die Dusche, um sich mit der kleinen Flasche Shampoo am Wannenrand die Haare zu waschen. Als sie aus dem Badezimmer kommt, trägt sie zu ihren nassen roten Haaren und sommersprossigen Beinen nichts außer einem schwarzen Yonah-Schimmel’s -Original-Knishes-T-shirt. Bei ihrem Anblick macht sich auf Lebowitz’ Gesicht ein Grad von Erregtheit bemerkbar, der um vieles höher ist als alles, was er in seinen vorangegangenen 32 Lebensjahren erleben durfte.
»Hast du das alles alleine getrunken?«, fragt O’Hara, und deutet auf die wenigen Zentimeter Luft in der Flasche.
»Das ist der Fluch der Nüchternheit«, sagt Lebowitz. »Meine Familie leidet seit Generationen darunter.«
»Meine nicht«, sagt O’Hara.
O’Hara zieht Lebowitz von seinem Stuhl hoch und beginnt, ihn ernsthaft zu küssen. Als sie ihm das Hemd auszieht und seine Jeans aufknöpft, sieht sie in seinen Augen und seiner Körperhaltung etwas so unveränderlich 17-Jähriges, dass sie schon jetzt weiß, dass sie niemals genug von ihm haben wird.
»Sam, ich muss sagen, ohne Klamotten siehst du noch besser aus.«
»Auf der Highschool wurde ich manchmal ein bisschen gehänselt. Da hat mir mein alter Herr ein paar Gewichte mitgebracht.«
»Das hab ich nicht gemeint, Sam.«
42
Am Donnerstagmorgen entriegelt Musters amazonenhafte Empfangsdame die Tür aus oxidiertem Stahl und O’Hara folgt ihr mit Knish und Kaffee in der Hand in den faschistoid minimalistischen Wartebereich.
O’Hara ist gerade dabei, einen kunstvoll designten Tisch mit ihrem fettigen Frühstück zu entweihen, als Muster in einem maßgeschneiderten Anzug für 6000 Dollar und Turnschuhen aus der Canal Street für drei Dollar zur Arbeit erscheint.
»Was ist denn mit Ihnen passiert?«, fragt er. »Haben Sie eine Typberatung beim Preisausschreiben gewonnen? Sie sehen phantastisch aus.«
O’Hara zeigt
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