Die letzte Lüge: Thriller (German Edition)
noch einmal den Kopf, jetzt schon kraftloser. O’Hara hat den Eindruck, als sei sie kurz davor zusammenzubrechen.
»Wegen Axl bin ich von der Highschool geflogen, habe meine Familie in Verruf gebracht und allen meinen Freundinnen die Pille eingebrockt. Aber er war auch das Beste, was mir je passiert ist. Vielleicht sogar das einzig wirklich Gute.«
»Das meine ich nicht«, sagt Delfinger und starrt auf ihre Hände. »Ich meine, nein, Daniel ist an dem Mittwochabend nicht nach Hause gekommen. Mittwochs arbeitet er meist länger, bleibt in der Stadt und nimmt sich ein Zimmer im Harvard Club. Ich hatte gedacht, am Abend vor Thanksgiving würde er eine Ausnahme machen, aber ich hatte mich getäuscht. Er rief am Nachmittag an und meinte, wenn er nicht länger bliebe, würde er über das Wochenende arbeiten müssen. Um 23 Uhr rief er noch einmal an und sagte, er sei zu müde, um noch nach Hause zu fahren. Er kam erst am Donnerstagmorgen hier an. Wollen Sie noch eine vielsagende Einzelheit über meinen hingebungsvollen und einfühlsamen Ehemann wissen? Raten Sie mal, welche Zimmernummer er sich im Harvard Club immer reservieren lässt – 411. Ich dachte, es wäre wegen Tovahs Geburtstag. Detective, ich habe drei Kinder, von denen noch keins vier Jahre alt ist. Ich bin 41 und habe noch nie gearbeitet. Was soll ich machen?«
Es ist bereits Nachmittag, als O’Hara rückwärts aus der Einfahrt stößt und den Hindernisparcour aus Bodenwellen überrollt, der die Autofahrer zwingen soll, sich an die vorgeschriebenen 40 Stundenkilometer zu halten. Als sie das weiße Tor und das Pförtnerhäuschen passiert hat, findet sie einen Rocksender auf dem ZZ Top und Alice Cooper laufen: Sie dreht das Radio voll auf und brüllt den Refrain mit, als könne ihr dies das Leben retten. Als der Sender zu rauschen beginnt, findet sie auf einer anderen Frequenz einen ebenso guten. Nun singt sie mit Mary J. Blige, bis ihr Tränen über das Gesicht laufen.
In der Stadt parkt sie in der Nähe des 9. Reviers in der 5th Street. Und obwohl sie ein schlechtes Gewissen dabei hat, ihrem überarbeiteten Imbissmann untreu zu werden, macht sie einen Abstecher in ein polnisches Fast-Food-Lokal auf der Avenue A und genehmigt sich Bœuf Stroganoff mit Eiernudeln. Zum Nachtisch gönnt sie sich zwei Gezapfte in der Kneipe nebenan.
Zurück in Zimmer 303 hat sie sich insoweit beruhigt, dass sie in der Lage ist, eine beschwingte und weitestgehend verständliche Nachricht auf Krekorians Mailbox zu sprechen. Sie erzählt ihm von Consuelas Tätowierung, ihrem Besuch in der Vorstadt und dass Delfingers Frau zuzugegeben hat, dass ihr Mann gelogen hat und in der Mordnacht nicht nach Hause gekommen ist. »Der dreiste Arsch hat mir eine Lüge nach der anderen aufgetischt. Er hat behauptet, das Haus sei voller Verwandtschaft gewesen. Totaler Blödsinn. Und dann das ganze Theater von wegen er habe seine Mautabrechnung weggeworfen und wie er sie dann auf magische Weise unter seinen bereits gelöschten Mails fand. Offensichtlich ist er bis Riverdale rausgefahren und durch die Mautstation, um Spuren zu verwischen. Dann hat er kehrtgemacht und ist über den Broadway, wo’s keine Maut gibt, wieder in die Stadt. Ich schwöre bei Gott, K., ich bin so dicht dran, ich kann’s schon schmecken.«
O’Hara legt auf und spürt die ganze Last der Erschöpfung, die sie seit Tagen niederkämpft. Ohne die Bettdecke zurückzuziehen, streckt sie sich auf dem Bett aus. Als fünf Stunden später das Telefon klingelt, zittert sie vor Kälte und blickt durch das Fenster in einen bereits schwarzen Himmel. Erst nach mehrfachem Klingeln begreift sie, dass sie nicht zu Hause in Riverdale ist.
»Dar«, sagt Krekorian. »Ich hab schlechte Neuigkeiten. McLains Transporter wurde auf einem Parkplatz für Langzeitparker am Flughafen von Newark gefunden. Hinten drin liegt eine Matratze voller Blut, das eindeutig von Pena stammt. Lowry ist unterwegs in die Orchard Street, um ihn zu verhaften.«
43
Krekorian ist beunruhigt, weil O’Hara schweigt. »Lowry hat eine ganze Abteilung für sich arbeiten lassen«, sagt er. »Du hattest nur mich.« Als O’Hara immer noch nicht antwortet, setzt er hinzu: »Ich werde vor dem Untersuchungsausschuss für dich aussagen. Alle vom 7. Revier werden das tun. Welche Zimmernummer hast du?«
»303.«
»Versprich mir, dass du dort bleibst. Ich komme nach Dienstschluss vorbei.«
»Ich kann nicht glauben, dass ich gegen diesen Angeberarsch den Kürzeren
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