Die letzte Minute: Thriller (German Edition)
anderen Plan. Du brauchst mich nicht anzulügen.«
» Ja.«
» Okay«, sagte sie resignierend. » Was soll ich dabei tun?«
79
The Ramble, Central Park, Manhattan
Ein Typ mit einem Fiberglasgips sieht nicht besonders bedrohlich aus. Der Serienmörder Ted Bundy und Buffalo Bill aus Das Schweigen der Lämmer tarnten sich deshalb mit einem eingegipsten Arm, um Frauen anzulocken und zu entführen. Den Gips setzten sie dabei als Waffe ein. Der Unterschied war, dass sie nicht wirklich einen gebrochenen Arm hatten, ich aber schon.
Es ist schon schwer genug, jemanden mit zwei gesunden Armen zu töten. Mehr als eine Chance würde ich nicht bekommen.
Ich setzte mich auf eine Bank nördlich der schönen Bow Bridge, ein Buch in der Hand, eine Yankees-Kappe tief ins Gesicht gezogen, und wartete. Ich befand mich am Rand von The Ramble, einem Waldgebiet im Central Park, das vor über hundert Jahren angelegt worden war und das von verschlungenen Wegen durchzogen war. Mindestens vier Leute wanderten mit Fernglas und Naturführer an mir vorbei; es war ein idealer Platz, um Vögel zu beobachten. Ich sah auch Teenager, die offenbar ein Plätzchen suchten, um ungestört zu sein. Es ging hier jedenfalls ruhiger zu als in anderen Teilen des Parks wie dem Zoo, den Spielplätzen oder der Mall. Hin und wieder spazierte eine Familie über die Bow Bridge, Jogger zogen ihre Kreise, ein Liebespaar, Hand in Hand. Für mich immer noch kein erfreulicher Anblick. Ich hab nichts gegen sie, Liebe ist etwas Großartiges, aber es erinnert mich einfach zu sehr an das, was ich mit Lucy zu haben glaubte und was sich als eine große Lüge herausgestellt hatte. Ich hatte geglaubt, mit ihr alt zu werden, stellte mir schon vor, wie wir eines Tages Daniels Kinder verwöhnen würden, wie liebende Großeltern es eben taten. Wir hätten in Parks gesessen, die Vögel gefüttert, dem Flüstern des Windes in den Bäumen gelauscht und die wechselnden Muster des Sonnenlichts auf dem Gras betrachtet.
Jetzt saß ich allein auf einer Parkbank und wartete darauf, jemanden umzubringen.
Meine Anweisung war eindeutig. Sobald der Kontaktmann der Neun Sonnen– ich war mir ziemlich sicher, dass es sich um Zviman handelte, doch das würde ich ihn nicht wissen lassen– von Jack Ming wegging, sollte ich Ming aufhalten und töten. Mir war klar, dass sich ein Hacker der Organisation Mings Konto vorknöpfen würde; sie würden ihm sicher keine zehn Millionen Dollar geben.
Der Tag war grau und bewölkt, die Sonne guckte nur zwischendurch hervor. Ich saß mit meiner Sonnenbrille und meinem Buch da und wartete. Ich schaute auf meine Uhr. Es war Zeit. Ich griff an die Unterseite der Bank, zog das Klebeband herunter und spürte den Ohrhörer in der Hand. Ich steckte mir den Stöpsel ins Ohr.
» Hallo, Sam«, hörte ich die Stimme.
Ich schwieg.
» Hat es Ihnen die Sprache verschlagen?«
» Nein. Ich hab Ihnen einfach nichts zu sagen.« Ich wandte mich wieder meinem Buch zu.
» Ich habe Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Falls ich nicht eine bestimmte Nummer anrufe und einen korrekten Code durchgebe, stirbt Ihr Sohn. Glauben Sie bloß nicht, Sie könnten Ming und mich töten oder mich als Geisel für Ihren Sohn nehmen.«
» Ich kann eine Anweisung befolgen.«
» Ich hab neulich mit Ihrem Sohn gespielt«, sagte Zviman.
Das Blut gefror mir in den Adern.
» Er ist sehr aufgeweckt für ein Kind in seinem Alter. Ich verstehe ja nicht viel von Babys, aber Ihr kleiner Junge ist wirklich ein lustiger Bursche. Es hat Spaß gemacht, ihn im Arm zu halten.«
Namenlose Wut.
» Ich weiß, Sie werden einen erstklassigen Job machen. Und danach können Sie Ihren Sohn sehen. Hoffentlich kommen mir nicht die Tränen. So ein Wiedersehen macht mich immer ganz sentimental.«
Ich sah einen Mann vom Weg zu einem dichten Wäldchen hinübergehen. Er blieb im Schatten der Bäume stehen und zog ein Handy hervor. Seine Irokesenfrisur war ein dünner blonder Haarstreifen. Ich erkannte sein Gesicht von Milas Beschreibung: Es war Zviman. Ich sah ihn nicht an, obwohl ich mir ziemlich sicher war, dass er mich beobachtete. Ich behielt weiter die umliegenden Wege im Auge.
Da sah ich Jack Ming. Mit Jeans und einer Giants-Windjacke und Baseballkappe bekleidet.
Er trug das rote Notizbuch in der linken Hand und hatte die rechte in der Jackentasche vergraben.
Das Stilett fühlte sich schwer an in meinem Gips. Ich hatte einen Teil des Griffs abgeschnitten, damit man die Waffe nicht an meinem Handgelenk sah.
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