Die letzte Minute: Thriller (German Edition)
Beobachtung vertieft. Er konnte Jack oder uns jeden Moment bemerken, und ich hörte Zviman scharf einatmen.
» Los, Abmarsch. Bevor er das Blut sieht.« Mit meinem Ärmel wischte ich Jack das Blut vom Mund.
Zviman ging in die Hocke und nahm Jacks Handy und das Notizbuch an sich. Es hatte einen roten Ledereinband und war kleiner, als ich gedacht hatte. Zviman eilte von dem Körper weg und begann in den Seiten zu blättern.
» Nicht rennen«, sagte ich zu ihm. » Gehen Sie ganz normal.«
Er schaute kurz zurück. Der Vogelbeobachter warf einen Blick in sein Bestimmungsbuch und wandte sich gleich wieder den Baumwipfeln zu.
Zviman und ich schritten gleichmäßig weiter.
» Wo sind die Kinder?«, fragte ich.
» Warten Sie. Wir sind noch nicht draußen.«
Wir überquerten die Bow Bridge und gingen schweigend zum Terrace Drive, der die beiden Enden der 72 nd Street durch den Park verbindet. Zviman eilte zur Straße und hob den Arm, um ein Taxi anzuhalten. Er war elegant gekleidet, sah reich aus und brauchte deshalb nicht lange zu warten. Es dauerte keine dreißig Sekunden, ehe ein Taxi anhielt und zwei Touristen aussteigen ließ, die Beatles-Fanartikel bei sich trugen und wahrscheinlich hier waren, um John Lennon drüben auf den Strawberry Fields die Ehre zu erweisen. Wir stiegen ein.
Zviman nannte dem Fahrer die Adresse einer Parkgarage einige Blocks entfernt. Er hob einen Finger an die Lippen, als könnte ich so dumm sein, vor einem Zeugen zu sprechen. Er blätterte das Notizbuch durch und schüttelte den Kopf. » Dieser kleine Mistkerl«, murmelte er ein paarmal, » dieser verfluchte kleine Mistkerl.«
Wir stiegen aus dem Taxi aus, er bezahlte. Mit dem Aufzug fuhren wir zur neunten Etage hinauf, und ich folgte ihm zu einem schwarzen BMW .
» Wo ist mein Sohn?«
» Ich bringe Sie zu ihm, jetzt gleich.«
» Anna hat gesagt, die Kinder werden zu einer Kirche gebracht, wo wir sie holen können. Wo zum Teufel fahren Sie mit mir hin?«
» Ich bringe Sie zu Ihrem Sohn, Mr. Capra, und Sie können entweder einsteigen oder nicht. Ihre Entscheidung.«
Ich stieg in den BMW ein. Er fuhr Richtung Park zurück, ganz ruhig. Das rote Notizbuch trug er bei sich.
Am Südostrand des Parks fuhr er rechts ran und hielt an. Leonie erwartete uns auf dem Bürgersteig. Bis jetzt waren noch keine Sirenen von Einsatzfahrzeugen zu hören.
Sie sah mich auf dem Beifahrersitz und stieg hinten ein.
» Ist er tot?«, fragte sie.
» Ja. Er hat sich praktisch selbst umgebracht«, antwortete Zviman. Er drehte sich zu Leonie um und beäugte sie von oben bis unten. Am liebsten hätte ich gesagt: Was willst du denn mit einer Frau? Doch ich hielt den Mund.
Er fuhr los und drückte eine Taste an seinem Handy.
» Cleopatra.« Vermutlich sein Codewort dafür, dass alles in Ordnung war. » Ming ist tot, ich habe das Notizbuch, und ich bringe die glücklichen Eltern zur Kinderstube. Mach die Kleinen bereit.« Er trennte die Verbindung. » In einer halben Stunde rufe ich wieder an und gebe ein anderes Codewort durch, um zu melden, dass Sie keine Dummheiten gemacht haben. Wenn sie auch nur den kleinsten Verdacht hat, dass Sie unterwegs irgendetwas unternehmen, müssen es die Kinder büßen. Garantiert. Lehnen Sie sich zurück, und genießen Sie die Fahrt.«
Hinter mir gab Leonie einen kehligen Laut von sich. Zviman lächelte ihr im Rückspiegel zu.
» Also dann. Mr. Capra, Ms. Jones, fahren wir zu Ihren Kindern.«
81
» Nicht bewegen«, sagte der großgewachsene dunkelhäutige Mann. » Sie könnten noch mal vorbeikommen und nachsehen.«
Jack Ming ließ die Augen halb geöffnet. » Er hat’s gefressen«, zischte er mit geschlossenem Mund.
» Es hat geholfen, dass Sie durch Ihre eigene Waffe gestorben sind. Ich glaube auch, dass es funktioniert hat. Er will Ihren Tod, und manchmal sieht man das, was man sehen will. Ich heiße Bertrand, bin ein Freund von Sam. Wir bringen Sie in Sicherheit.«
Jack rührte sich nicht. Durch seine halb geschlossenen Augen sah er hinter Bertrand eine Frau mit einer Videokamera. » Wenn es so aussieht, als würden wir ein Video für YouTube drehen, denkt kein Passant, dass Sie wirklich erschossen wurden«, erklärte Bertrand. Die Frau war zierlich, auffallend hübsch und hatte ihre große Sonnenbrille ins dunkle Haar hochgeschoben.
Zehn, zwanzig Minuten verstrichen. Leute spazierten vorbei, betrachteten sie neugierig, doch die Frau mit der Videokamera beantwortete alle ungestellten Fragen. » Okay, stehen Sie
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