Die letzte Minute: Thriller (German Edition)
Wochen in ihm aufgestaut hatte, war genau in dem Moment hervorgebrochen, als er sie brauchte. Der Mann lag reglos am Boden. Jack kniete sich zu ihm und ließ die Metallstange fallen. Er tastete nach dem Puls, fand aber nur warme Stille am Hals des Mannes.
Ein Knochensplitter, dachte Jack. Der erste Schlag hatte die Nase zertrümmert, der zweite hatte den Knochen ins Gehirn gestoßen.
Er schlug schockiert die Hände vors Gesicht. Er hatte einen Menschen umgebracht. Einfach so.
Weil er dich umbringen wollte.
Jack nahm die Pistole und stand auf. Mit dem Fuß schob er den Toten unter das Bett. Die Pistole steckte er in die Tasche seines Bademantels.
Er trat auf den Gang hinaus. Im Zimmer nebenan schlief die alte Frau immer noch tief und fest. Er kramte in ihrer Kommode und fand zehn Euro und ein Handy. Er nahm beides heraus, hatte ein schlechtes Gewissen dabei und musste lachen, weil ihm der Diebstahl mehr Schuldgefühle verursachte als die Tatsache, dass er gerade einen Mann erschlagen hatte. Rasch eilte er zurück auf den Gang und das Treppenhaus hinunter. Wenig später betrat er sein Zimmer und setzte sich auf die Bettkante.
Wen sollte er anrufen?
Ricki. Schließlich waren sie immer noch Freunde. Er mochte sie wirklich, obwohl sie eigentlich nur für ein paar Wochen seine Freundin gewesen war, nachdem er in den Niederlanden angekommen war, in seinem selbst erfundenen neuen Leben. Und sie empfand bestimmt etwas für ihn, sonst hätte sie nicht so viel unternommen, um ihn zu finden. Er überredete sie, ihn abzuholen und Kleider mitzubringen. Die Polizei hatte die Kleider, in denen man ihn gefunden hatte, als Beweisstücke einbehalten, außerdem waren sie ohnehin voller Blut. Ricki war einverstanden und versprach in spätestens einer Stunde da zu sein. Er wollte in einem Café in der Nähe warten, das er gut kannte.
Nach dem Gespräch klaute er eine Jeans aus einem Zimmer, in dem ein Mann lag, der mit Schmerzmitteln außer Gefecht gesetzt war. Dazu nahm er sich ein Rugby-Trikot aus dem Schrank. Er verließ das Zimmer, schlich an den Schwestern vorbei, fuhr mit dem Fahrstuhl nach unten und trat in die kühle Nachtluft hinaus.
Sie haben rausgekriegt, dass du noch lebst. Sie sind hinter dir her. Es gibt nur eine Waffe, mit der du dich wehren kannst. Falls Nic gelogen hat und es dieses Notizbuch nicht gibt, bist du so gut wie tot.
6
Manhattan, beim Bryant Park
Wir betraten The Last Minute , meine Bar in der Nähe des Bryant Park. Ein Lokal mit einer angenehmen Atmosphäre: elegant, stilvoll, mit einem Hang zum Jazz. Die Theke besteht aus feinem Connemara-Marmor, dahinter ein riesiger alter Spiegel, ein Überbleibsel aus einem New Yorker Lokal aus der Zeit vor dem Bürgerkrieg. Natürlich verirren sich immer wieder auch Touristen herein– sobald man auf den entsprechenden Internetportalen positiv erwähnt wird, lässt sich das nicht mehr vermeiden–, doch den Hauptteil unserer Gäste bilden Leute, die hier in der Stadt arbeiten, gelangweilte Reiche und Stammgäste, die tatsächlich wissen, wie man einen richtigen Old-Fashioned oder einen Sazerac mixt.
Von den Gästen, die nach der Arbeit auf einen Drink hereinschauen, waren heute nur wenige da. Eloise saß am Piano und spielte leise ein Stück von Thelonious Monk. Sie ist so alt wie Methusalem, doch der Funke der Jazzmusik hält sie wahrscheinlich ewig am Leben. Ich hatte die Bar erst vor einigen Wochen von Mila erworben, als sie noch Bluecut hieß, doch ich entschied mich für einen neuen Namen. The Last Minute war meine Operationsbasis für die Suche nach meinem Sohn, und der Name drückte die Dringlichkeit ebenso aus wie meine Entschlossenheit, nie aufzugeben.
Ich nickte dem Barkeeper zu und zeigte auf einen Hocker für August. Er setzte sich, und ich trat selbst hinter die Theke, um unsere Drinks zu mixen: für meinen Freund gewiss überraschend. Mir war klar, ich würde ein paar Geheimnisse preisgeben müssen, um andere zu bewahren.
August war genau das, wonach er aussah: ein Farmjunge aus Minnesota mit schwedischen und deutschen Vorfahren. Sein Blick schweifte über all die sympathischen Leute, die edle Einrichtung, die schimmernden Lichter. Wir hatten uns vor einigen Wochen einmal hier getroffen, und fünf Minuten nachdem er weg war, kam Mila herein und übertrug mir die Bar, zusammen mit dreißig anderen Bars in Städten auf der ganzen Welt. Ich hatte ihm das nicht erzählt, weil er es nicht zu wissen brauchte. Doch als ich jetzt auf die andere Seite
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