Die letzte Minute: Thriller (German Edition)
Möbeln und am Boden lagen Männer- und Frauenkleider verstreut. Fagin war ein bisschen schlampig. Im nächsten Zimmer sah ich sechs Computer auf einem langen Tisch, außerdem gab es einen Knautschsessel und einen Fernseher mit einer tollen Gamestation. Fagin hatte sich immer noch nicht von seinem Lieblingsspielzeug getrennt.
Zwei junge Oliver Twists – vielleicht sechzehn Jahre alt – saßen an den Computern, ganz in die Musik aus ihren iPods versunken, sodass sie mich nicht bemerkten. Ich ging weiter in die Küche, holte mir einen Apfel aus dem Kühlschrank und wusch ihn. Weil ich diese Burschen nicht kannte, nahm ich mir ein Messer aus einer Schublade, bevor ich ins Computerzimmer zurückkehrte.
Ich biss in den Apfel und trat hinter den ersten Oliver Twist. Ein dünner Junge mit lockigem braunem Haar und Pickeln im Gesicht. Konzentriert bearbeitete er seine Tastatur.
Ich warf einen Blick auf den Bildschirm. Irgendeine Computersprache, doch mit Kommentaren in Russisch. Interessante Streiche, die die Oliver Twists hier ausheckten.
Ich zog ihm den Stöpsel aus dem Ohr. » Hi, was machst’n da?«
Er sprang vom Stuhl hoch. Seine Augen weiteten sich, als er das Messer in meiner Hand sah.
» Äh… äh.«
Der andere Junge– Afroamerikaner, ein bisschen älter, T-Shirt der New Orleans Saints, Jeans und die hässlichsten gelben Turnschuhe, die ich je gesehen hatte– sprang ebenfalls auf. Ich zeigte ihm das Messer, und er hielt inne.
» Was macht ihr hier?«, fragte ich noch einmal.
Keiner antwortete. » Ein bisschen hacken, ja? China oder Russland?« Ich biss in meinen Apfel. » Oder irgendein anderes Land? Fagin knöpft sich auch gern Ägypten und Pakistan vor.«
Sie schwiegen weiter und wechselten kurze Blicke.
» Mir wird langweilig, wenn ihr kein Wort sagt. Und wenn ich mich langweile, spiele ich mit dem Messer.« Bin ich nicht nett, Teenager zu bedrohen?
» Russland«, sagte der Saints-Fan nach einigen Augenblicken. » Wir legen ihnen Datenbomben ins Stromnetz.«
» Klingt richtig patriotisch«, erwiderte ich. » Kommt Fagin bald nach Hause?«
Der Saints-Fan nickte wieder. » Ja. Er holt nur was zu essen.«
» Ihr armen Jungs, ist euch vielleicht das Red Bull ausgegangen?«
» Ähm, nein, Pepsi«, warf der Dünne ein.
» Also, dann lasst euch nicht stören«, sagte ich. » Fagin ist ein alter Freund von mir. Ich warte hier auf ihn.«
Langsam setzten sie sich wieder auf ihre Plätze, und ihre Hände kehrten an die Tastaturen zurück, obwohl sie nun viel langsamer tippten. Ihre Ohrstöpsel blieben draußen.
Ich aß meinen Apfel, sah ihnen zu und wartete.
Fagin erschien zehn Minuten später mit einer Papiertüte voller Lebensmittel. Er ließ die Tüte fallen, als er mich sah. Eine Orange kullerte über den Boden, direkt vor meine Füße.
» Zum Teufel noch mal. Sam Capra.«
» Hi, Fagin.«
Sein Mund klappte zu. Ich hob die Orange auf und warf sie ihm zu. Er fing sie.
» Läufst du jetzt weg, oder machst du die Tür zu?«, fragte ich.
Er schloss die Tür. Die Papiertüte stellte er auf die Arbeitsplatte. Er ging zu dem Zimmer mit den beiden Oliver Twists, um nach ihnen zu sehen.
» Bitte«, sagte ich. » Ich würde deinen Jungs doch nichts tun.«
» Er hat einen Apfel geklaut«, sagte der Saints-Fan.
» Wirklich? Und hat er euch bei der Arbeit gestört?«
» Nö«, antworteten beide.
» Dann macht weiter.«
Die beiden Oliver Twists steckten die Stöpsel in die Ohren. Fagin stellte jedem eine kalte Limonadendose hin. Ihre Tippgeschwindigkeit nahm wieder zu.
Fagin verschränkte die Arme. » Egal was du willst, die Antwort lautet Nein«, sagte er.
» Keine freundliche Begrüßung«, erwiderte ich.
Ich hatte Fagin während meiner Arbeit für Special Projects kennengelernt, jene CIA -Task-Force, die sich mit dem internationalen Verbrechen beschäftigte. Wir erledigten die Drecksarbeit, die zwar getan werden musste, von der aber niemand erfahren durfte. Unser Betätigungsfeld reichte von Menschenhandel über Waffenschmuggel bis hin zu Wirtschaftsspionage, soweit es die nationale Sicherheit betraf. Verbrechen dieser Größenordnung und der Terrorismus bilden die größte Bedrohung für die Stabilität der westlichen Gesellschaften. Die kriminellen Aktivitäten reichen bis in die Regierungsbehörden, untergraben den gesellschaftlichen Zusammenhalt und erschüttern die Zivilisation in ihren Grundfesten. Zwanzig Prozent der Wirtschaft sind heute illegal. Die Verbrecher bewegen sich immer mehr
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