Die letzte Minute: Thriller (German Edition)
jetzt in mein Zimmer kommt.«
» Warum nicht?«
Leonie verdrehte die Augen. » Tun Sie einfach, was ich Ihnen sage. Kaffee, zwei Kannen, französische Röstung. Ein großes Frühstück, ich weiß nicht, wann wir wieder zum Essen kommen. Holen Sie mich, wenn das Essen da ist.« Sie drehte sich um und ging zurück in ihr Zimmer.
Ich tat, was sie verlangte, und bestellte uns ein Luxusfrühstück mit zwei Kannen Kaffee. Ich duschte wie ein Mann, der spät dran war, zog eine Jeans an und ein frisches Hemd, das ich über der Hose tragen konnte. Ich checkte mein persönliches Handy, mit dem ich für Mila erreichbar war. Keine Nachricht. Möglicherweise hielt sie sich wirklich zurück. Es befand sich auch keine Nachricht auf dem Handy, das mir Anna gegeben hatte.
Das Frühstück kam: zwei Omeletts, Speck, Bagels, Hash Browns, Fruchtsaft, Kaffee. Ein Frühstück aufs Zimmer kostet in New York nur einen Bruchteil der Staatsschulden. Ich ging zu Leonies Zimmer hinüber und klopfte an.
» Bringen Sie’s rein, es wird ein Arbeitsessen«, sagte sie.
Sie hielt mir die Tür auf, während ich die großen Tabletts hinübertrug.
An den Wänden hingen riesige weiße Blätter, mit einem dicken Filzer beschrieben. Der Laptop war eingeschaltet, und nach dem Bild auf dem Display zu schließen befand sie sich in einem Chatroom. Ein voller Aschenbecher stand daneben.
» Ich hab gar nicht gewusst, dass Sie rauchen«, sagte ich.
» Ich hatte aufgehört. Als Taylor zur Welt kam. Jetzt hab ich wieder angefangen, grauenhaft.«
Leonie setzte sich und widmete sich ihrem Käse-Pilz-Omelett. » Ich hasse kaltes Essen«, sagte sie und aß eine Weile schweigend, während ich eine Tasse Kaffee trank, die ich so dringend brauchte wie die Luft zum Atmen. » Okay, dann fangen wir mal an«, sagte sie schließlich. » Jin Ming hat nicht existiert, bevor er in Delft eintraf.«
» Falsche Identität.« Ich hob eine Augenbraue und nahm mir mein Omelett.
» Seine Zeugnisse sind fast perfekt.«
» Sie haben den Server der Universität geknackt?«
Sie zuckte mit den Schultern. » Universitäten sind leicht zu hacken. Sie betreiben große Netzwerke mit vielen unvorsichtigen Usern, selbst an einer technischen Hochschule. So eine Uni ist quasi ein einziges riesiges Café, wo jeder seinen Laptop hat.« Sie wandte sich wieder dem Essen zu und schlang es so schnell hinunter, als würde sie den Geschmack gar nicht wahrnehmen. » Seine Unterlagen deuten darauf hin, dass er aus Hongkong stammt. Das erklärt sein ausgezeichnetes Englisch. Doch ich habe ein bisschen tiefer gegraben. Es gibt einen Jin Ming aus Hongkong, der an dem Tag Geburtstag hat, der in den Universitätsunterlagen steht. Er ist mit fünf Jahren gestorben, ertrunken in der Repulse Bay.«
» Unsere Zielperson hat eine fremde Identität übernommen.«
» Ja. Und eigene Details eingefügt. Er hat angeblich die International School besucht, es gibt falsche Zeugnisse. Die Schule hat keine Daten von ihm.«
» Haben Sie auch dort die Datenbank geknackt?«
» Oh, nein. Ich hab einfach angerufen, als jemand von der New York University.«
Ich setzte mich. » Warum sollte Jin Ming so tun, als stamme er aus China, nur damit er die Universität Delft besuchen kann? Ich meine, die Leute legen sich eine falsche Identität zu, um Geld zu waschen, um Grenzen zu überqueren. Wer zum Teufel stiehlt schon eine Identität, damit er eine niederländische Universität besuchen kann? Noch dazu gibt er sich als Chinese aus. Was ist, wenn er ausgewiesen wird und nach China zurückmuss? Das wär doch eine Katastrophe für ihn.«
Leonie lächelte. » Und genau deshalb wird niemand Zweifel haben, wenn er jemanden mit einem chinesischen Pass sieht. Das muss einfach stimmen, weil sich das niemand aussuchen würde.«
» Brillant«, sagte ich langsam.
» Jin Ming bedeutet übrigens › goldener Name‹. Es ist zwar der Name einer realen Person, doch er hat ihn womöglich bewusst gewählt. Ein goldener Name, ideal, um sich dahinter zu verstecken.«
Ich rieb mir die Stirn. » Er fällt schon irgendwie aus der Reihe, oder?« Dumme Leute sind leicht zu jagen, schlaue hingegen stellen eine echte Herausforderung dar.
» Ich denke, er ist auf der Flucht.« Leonie verschränkte die Arme. » Jemand, der sich versteckt, der aber unbedingt sein Studium weiterführen will, und das an einer angesehenen Universität. Nicht viele kämen auf die Idee, sich falsche chinesische Papiere zuzulegen, weil man Angst haben müsste, nach
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