Die letzte Minute: Thriller (German Edition)
kommt, schränkt das die Möglichkeiten beträchtlich ein.«
Ich beugte mich vor und blickte auf ihren Computerbildschirm. Sie war tatsächlich in einem Chatroom mit einer langen Liste von Beiträgen. » Was ist das für eine Site?«
» DarkHand. Eine Hacker-Community.« Sie begann zu tippen. » Hier habe ich ein paar Dinge über Jin Ming erfahren. Einige Hacker haben Zugang zu den Systemen, aus denen ich Informationen beschaffen musste. Das kostet Sie übrigens eine Kleinigkeit.«
» Wie viel?«
» Sie werden Geld für die Informanten waschen. Die beiden sind Chinesen, sie wollen ungefähr fünfzigtausend Dollar auf US -Konten transferieren. Das werden Sie erledigen. Über Ihre Bar in Las Vegas.«
Sie wusste von der Canyon Bar. Nicht nur, dass ich Anna dort getroffen hatte, sondern auch, dass sie mir gehörte. » Ihre Hacker-Freunde werden ihr schmutziges Geld nicht über meine Bar waschen.« Das Geld mochte Gott weiß woher stammen. Hacker konnten Geldautomaten knacken oder Firmen damit erpressen, ihre Websites zu manipulieren. Sie verwickelte mich in neue Verbrechen. Meine Entrüstung schien sie fast zu amüsieren.
» Sie können nicht Nein sagen. Ich habe den Deal schon besiegelt. Es ist für unsere Kinder.«
Sie hatte natürlich absolut recht. » Für unsere Kinder«: die drei mächtigsten Worte, die unsere Sprache kannte. Okay, dachte ich. Mit dem Problem würde ich mich später auseinandersetzen. » Machen Sie nicht noch mehr Versprechungen, die Sie nicht halten können.«
» Wollen Sie den Burschen finden oder nicht?« Sie stand auf, ihre Augen funkelten. » Sie tun, was ich sage. Keine Diskussionen.«
» Beruhigen Sie sich«, erwiderte ich. » Es geht mich sehr wohl etwas an, wenn Sie mein Geschäft in kriminelle Aktivitäten verwickeln.«
» Das ist mir egal.«
Ich ließ ein paar Sekunden verstreichen, um die Situation zu entschärfen. » Okay. Gehen wir von der Annahme aus, dass er persönliche Verbindungen nach New York hat.«
Sie nickte. » Wir finden diese Verbindung, dann haben wir ihn.« Sie wandte sich wieder ihrem Laptop zu. » Lassen Sie mich jetzt weiterarbeiten. Danke für das Frühstück.«
» Und ich? Ich warte so lange? Nein.«
» Wie wollen Sie sich denn nützlich machen?«, reagierte sie gereizt. » Ich finde ihn, Sie töten ihn. Sie sind die Kugel, Sie haben den leichteren Job.«
» Ich werde jedenfalls keine zwielichtigen Freunde um Hilfe bitten«, sagte ich. Eine Lüge. Ich hatte Ressourcen– durch die Tafelrunde–, von denen ich ihr nichts erzählen würde. Ich gab ihr meine Handynummer. Sie notierte sie nicht, sondern wiederholte sie laut.
» Wo wollen Sie hin?«, fragte sie, als ich aufstand und zur Tür ging.
Ich gab keine Antwort. Sie brauchte es nicht zu wissen. Auf ihre Art dauerte es einfach zu lang.
22
Chelsea, New York City
Die meisten Decknamen in der Company sind nicht witzig, doch seiner schon: Fagin. Charles Dickens’ Meisterdieb aus Oliver Twist, der Straßenjungen in London aufsammelte und zu Dieben ausbildete. Der Fagin, den ich kannte, war eine moderne Ausgabe der Dickensfigur.
Ich fuhr mit der Subway südwärts nach Chelsea. Es war schon später Vormittag, viele Shopper waren unterwegs und warfen da und dort einen Blick auf die Bilder in den vielen Galeriefenstern. Ich suchte die letzte Adresse von Fagin auf, die mir bekannt war. Hoffentlich wohnte er noch dort. Ich stieg ins oberste Stockwerk des Hauses hinauf, klopfte an und lauschte. Schließlich knackte ich das Schloss und trat ein.
Es war eine große Wohnung (ich wollte gar nicht wissen, wie viel sie kostete), und er wohnte noch hier. Ein Bild von Fagin und seiner Frau hing an der Wand, lächelnd, mit tropischem Regenwald im Hintergrund. Er war dünn, hatte einen rötlichen Bart und dunkelbraune Augen. In der Spüle lag schmutziges Frühstücksgeschirr, daneben eine halbvolle Kaffeetasse. Ich selbst hauste in einfachen Wohnungen über einer Bar und hatte schon fast vergessen, wie sich ein richtiges Zuhause anfühlte. Lucy und ich hatten in London in einer schönen Wohnung gelebt, nahe dem British Museum. Ich hatte mich abends darauf gefreut, nach Hause zu kommen, in diese Räume, die geprägt waren von dem Leben, das wir uns gemeinsam aufbauten. Doch daran erinnerte ich mich besser nicht. Würde jemand, der nach dem Fagin in Oliver Twist benannt war, viel Verständnis aufbringen, wenn ich ihn bat, mir zu helfen, mein Kind zu retten?
In einem der fünf Zimmer stand ein IKEA -Bett, auf den
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