Die letzte Minute: Thriller (German Edition)
In diesem Moment wirkte es bedrohlicher als eine geladene Pistole.
» Ich glaube, er kommt aus New York und hat irgendwas Schlimmes ausgefressen, weil er sich danach unter einem falschen Namen versteckt hat. Er nannte sich Jin Ming und studierte an der Universität von Delft. Nun ist er nach New York zurückgekehrt und geht damit ein großes Risiko ein, obwohl er allen Grund hätte, einen Tunnel unter einen niederländischen Kanal zu graben und sich für die nächsten zehn Jahre dort zu verstecken. Dass er zurückkommt, hat nach meiner Einschätzung familiäre Gründe.«
» Massenhaft asiatische Jungs beschäftigen sich mit Computern, aber nur wenige von ihnen mit dem Hacken. Sie hängen mehr an ihren kulturellen Konventionen, und in den Familien ist der Respekt vor Autoritäten immer noch groß.« Fagin betrachtete einen Moment lang seine Fingerspitzen. » Obwohl man’s natürlich nicht verallgemeinern kann. Wirklich.«
» Also, wie viele kennst du?«
» Na ja, schon einige. Ein paar waren auch in meinem… ähm… Camp. Ich behalte sie im Auge.«
» Weil du nicht willst, dass sie über ihre Arbeit bei dir plaudern, oder weil du sie noch mal brauchen könntest?«
» Beides. Wenn ich dir Fotos zeige, gehst du dann?«
» Ich brauch einen Namen, Fagin.«
» Und was dann?«
» Du sagst niemandem von Special Projects, dass ich hier war, und ich gebe keinem deiner vielen Feinde im Ausland deinen Namen und deine Adresse.«
» Ich kann nicht glauben, dass du das tun würdest, Sam. Ich bin wirklich enttäuscht.«
» Es geht um mein Kind. Da kenn ich keine Spielregeln mehr.«
Er stand auf. Ich folgte ihm zu einem der Computer. Ich beugte mich zu ihm und achtete darauf, dass er nicht heimlich eine E-Mail an August oder sonst jemanden in der Abteilung schickte. Hacker sind verschlagener und geschickter als Taschendiebe. Er könnte irgendeine Tastenkombination drücken und damit das ganze System neu formatieren. Fagin an seiner Tastatur zu beobachten war, wie eine Kobra zu betrachten, während sie sich langsam aus ihrem Korb aufrichtet.
» Ich führe Dossiers über alle Oliver Twists«, sagte er. Er gab ein Passwort ein– zu schnell für mich, um es mir zu merken–, dann ein zweites und ein drittes. Er öffnete einen Ordner mit dem Namen TWISTS . Dutzende Namen. Er klickte einige an, und ihre Dateien öffneten sich. Jede enthielt ein Bild des Betreffenden. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Fagin sie alle geknipst hatte; die Fotos sahen aus, als wären sie aus Pässen oder Führerscheinen gestohlen. Oder aus Schulfotos: Einige der Jungen schienen höchstens dreizehn oder vierzehn zu sein. Ladies and Gentlemen, so arbeitet Ihre Regierung.
Er begann die Namen nacheinander anzuklicken, während ich zusah. » Nein. Nein. Nein«, sagte ich.
Es war wohl auch nicht zu erwarten, dass Jin Ming für ihn gearbeitet hatte; sonst wäre er in seiner Situation wahrscheinlich als Erstes zu Fagin gekommen. » Keiner davon ist Jin Ming.«
» Jin Ming. Jin Ming. Ich erinnere mich an einen Jack Ming.«
» Jack Ming. Das klingt zu ähnlich. Dann wäre Jin Ming kein guter Deckname.«
» Unsinn. Jin wäre der Nachname, nicht Ming. Seine Freunde würden ihn Ming nennen, nicht Jin. Und ein guter Deckname ist einer, den man sich merkt.« Er googelte nach Jack Ming. Es erschienen mehrere Zeitungsberichte. Ein Bild.
» Oh, ja«, sagte Fagin. » Da haben wir ihn.«
Es war der junge chinesische Hacker. » Tatsächlich, das ist er. Was hat er ausgefressen?«
» Angeblich hat er Bruce Springsteens Laptop gehackt und Aufnahmen für ein neues Album gestohlen.«
» Das ist natürlich unverzeihlich. Und deswegen musste er fliehen?«
Fagin rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her. » Ähm, nein, was er richtig gut konnte, war, Kopierer zu hacken.«
» Kopierer?«
» Bürokopierer. Die arbeiten heute mit Festplatten, und man stellt eine direkte Verbindung zum Internet her, wenn etwas repariert werden muss. Sie laden sich das entsprechende Material selbst herunter, falls es ein Softwareproblem ist, oder teilen den Serviceleuten genau mit, welche Teile benötigt werden.«
» Und Jack Ming hat… Kopierer gehackt?«
» Er hat die Software im Kopierer umgeschrieben.«
» Um was zu erreichen?«
» Na ja, man kann die Software umschreiben, um den Kopierer zu überhitzen, zu beschädigen oder zu zerstören. Einmal hat er einen Kopierer abgefackelt, in einer Firma, in der seine Mutter als Beraterin arbeitete. Die Sprinkleranlage
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