Die letzte Minute: Thriller (German Edition)
meldete sich Annas Stimme. » Das war’s erst mal.«
30
Morris County, New Jersey
Leonie blickte vom Boden auf. Der Fahrer hatte vermutlich nicht mit zwei Opfern gerechnet: Er hatte nur ein Paar Handschellen für Mrs. Ming, die auf einem Holzstuhl neben ihr saß. Leonie hatte er mit einem Seil aus einem Abstellraum gefesselt. Das Wohnzimmer war klein, die altmodische Tapete von einer muffigen Schmutzschicht überzogen. Das Haus vermittelte den Eindruck einer Zwischenstation, als würde sich hier nur gelegentlich jemand aufhalten. Leonie saß da und beobachtete den Fahrer, der im Nebenzimmer ungeduldig auf und ab ging und an den Fenstern nach Sam Ausschau hielt.
» Helfen Sie mir«, flüsterte ihr Mrs. Ming zu.
Leonie sah sie an. » Was soll ich denn Ihrer Meinung nach tun?«
Nicht die Antwort, die Mrs. Ming hören wollte. » Er ist keiner von der CIA . Aber die haben gesagt, sie schicken jemanden zu mir.«
» Die CIA ?«
» Ja!«, betonte Mrs. Ming.
Leonie rückte etwas näher heran. » Die CIA sucht Ihren Sohn.«
» Heute früh hat mich ein Mann angerufen und gesagt, er sei von der CIA . Sie haben damit gerechnet, dass Jack nach Hause kommt, und gesagt, ich soll anrufen, wenn er’s tut. Ich… ich wusste nicht, ob ich ihm glauben soll, doch ich ging einkaufen, für alle Fälle. Ich habe Dinge gekauft, die Jack gern isst.« Ihre Stimme klang verloren.
» Wo ist Ihr Sohn?«, fragte Leonie.
» Ich weiß es nicht…«
» Sagen Sie’s mir.«
» Er ist gegangen, ich weiß nicht…«
Leonie beugte sich zurück und versetzte der Frau einen Kopfstoß. » Sagen Sie mir, wo er ist!«
Mrs. Ming schrie auf vor Zorn und Schmerz.
» He! He!«, rief der Mann und eilte zu ihnen ins Zimmer. Er versetzte Leonie einen Tritt in den Rücken. » Aufhören!« Er murmelte etwas in sein Handy, zu leise, als dass sie es hören konnte, und trennte die Verbindung.
» Sie sind nicht von der CIA !«, rief Mrs. Ming, während ihr aus der Wunde an der Stirn das Blut übers Gesicht lief. » Sie können mich nicht einfach hier festhalten. Das können Sie nicht machen. Sie werden mich suchen.«
» Du«, sagte er zu Leonie. » Du gehörst zu Sam Capra.«
Sie schwieg. » Miststück!«, stieß er in seinem akzentgefärbten Englisch hervor. » Ich werd langsam ungeduldig.« Er trat erneut zu, hart und schmerzhaft, und sie flog quer durchs Zimmer.
Dann stellte er ihr eine Frage, die ihr in ihrer Benommenheit völlig unsinnig erschien. » Sag mir, wo ist diese Mila?«
31
Morris County, New Jersey
Ich sah den gemieteten Prius zwischen den Bäumen stehen. Ich stieg aus, kletterte über einen Zaun und folgte einer asphaltierten Straße. Auf einem Schild stand: PRIVATWEG . BETRETEN VERBOTEN . Vor mir lag eine lange gewundene Auffahrt und ein altes, einst herrschaftliches Haus, vielleicht zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts erbaut. Leonie hatte sich einzuschleichen versucht, doch ich wurde erwartet. Es hatte also wenig Sinn, irgendetwas anderes zu tun, als direkt zum Haus zu gehen.
Mein Handy klingelte erneut. » Kommen Sie zur Haustür. Keine Dummheiten, sonst stirbt die Rothaarige, und Sie dürfen zusehen.« Kurz und schmerzlos.
Ich schritt über eine prächtige Veranda zur Haustür. Ich öffnete die Tür und trat in einen großzügigen Vorraum.
» Hier«, rief eine Stimme.
Ich ging nach hinten und betrat einen Raum zur Linken, der einmal eine Bibliothek oder ein Arbeitszimmer gewesen sein mochte. Der Typ hatte vermutlich bei den Pfadfindern einiges gelernt, er war extrem gut vorbereitet. Er richtete eine Pistole auf mich und eine zweite gegen Leonies Schläfe. Ein Taser steckte in seinem Hosenbund. Leonie hatte blaue Flecken im Gesicht.
» Hi«, sagte er. » Freut mich, dass du schon wieder fit bist nach unserem kleinen Unfall.«
» Vitamine und Milch.«
» Leider keine gute Nahrung fürs Gehirn«, gab er zurück. Er tippte mit dem Lauf der Pistole gegen Leonies Kopf, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. » Ich denke, du weißt, was du zu tun hast.«
» Ich bin nicht bewaffnet«, sagte ich.
» Lügner. Wenn ich dich durchsuche, und du hast eine Knarre, schieß ich dem Miststück hier die Daumen weg.«
Ich zog die Pistole des Sicherheitsmanns aus meiner Hose und warf sie auf den Boden.
» Kick sie zu mir rüber«, forderte er mich auf.
Ich tat, was er verlangte.
» Für wen arbeitest du?«, fragte er.
» Nur für mich«, antwortete ich.
Er richtete die Waffe auf Mrs. Mings Kopf, und sie begann zu wimmern. » Ich
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