Die letzte Minute: Thriller (German Edition)
Jack gewartet und Sam getötet.
Dann müsste ich jetzt ganz allein mein Kind retten. Reiß dich zusammen, sagte sie sich.
Dicke Vorhänge verstellten ihr den Blick durchs Fenster. Hier draußen auf der Veranda fühlte sie sich schutzlos. Es gab nichts, hinter dem sie Deckung finden konnte.
Seltsam, dachte sie, ich denke wie ein Soldat.
Sie eilte um die Ecke, auf die freistehende Garage zu. Tief geduckt schlich sie die Hausmauer entlang und war so stolz auf sich, dass sie im ersten Moment die Taser-Nadeln gar nicht spürte, doch der Stromschlag ließ sie zusammenzucken und von der Veranda in einen vernachlässigten Rosenstrauch stürzen. Der Schmerz schoss ihr bis in die Knochen.
Sie drehte sich um und sah, dass der Fahrer der Limousine schon dazu ansetzte, noch einmal abzudrücken.
Das Letzte, was sie roch, war der Duft der zerdrückten Rosen unter ihr, ihr Mund verzerrte sich und versuchte, nach Sam zu rufen.
28
East 59 th Street, Manhattan
Ich lief hinunter in die Lobby. Der Portier stand bei der Glastür, und als er mich bei der Treppe sah– mit dem Laptop in der Hand–, eilte er empört auf mich zu. Empört, aber immer noch äußerst höflich.
» Sir, ich weiß, Sie müssen sich erholen, aber das ist ein Privathaus und…«
Ich schlug zu, kurz und hart, auf die weiche Stelle zwischen Kiefer und Lippe. Er taumelte zurück, und ich rammte ihm die Faust erst in die Magengrube, dann in den Nacken.
» Sorry«, sagte ich. » Es tut mir wirklich leid, Mister.« Er klappte zusammen. Ich kniete mich zu ihm, durchsuchte seine Taschen und fand einen Hauptschlüssel. Ich stand auf und rannte den Flur entlang. Eine Tür trug die Aufschrift » Security«. Ich schloss sie auf und sah einen Sicherheitsmann vor seinen Monitoren sitzen. Er sprang auf und griff nach seinem Holster. Ich schlug ihn nieder und nahm ihm die Waffe ab. Forderte ihn auf, sich hinzusetzen, und er gehorchte.
» Umdrehen. Ich bringe Sie nicht um.« Ich knallte ihm die Pistole auf den Hinterkopf, dreimal, und er sank zu Boden. Ich wandte mich den Sicherheitsaufzeichnungen zu und spulte zurück. Zuerst sah ich mich selbst eintreten, dann Mrs. Ming das Haus verlassen. Leute kamen und gingen, so schnell und energisch, als hätten sie Espresso im Blut. Und dann er.
Jack Ming kam allein aus dem Haus, und er hatte es sehr eilig. Auf dem Bürgersteig wandte er sich nach links.
Ich spulte noch weiter zurück und sah, wie er zusammen mit seiner Mutter das Haus betrat. An dieser Stelle ließ ich die Aufzeichnung langsamer laufen.
Auf einem anderen Monitor trat eine Frau aus dem Aufzug und schrie, als sie den Portier am Boden liegen sah. Okay. Zeit zu verschwinden.
Ich beobachtete die Körpersprache von Jack Ming, als er mit seiner Mutter das Haus betrat. Der Junge hatte augenscheinlich Angst. Er trug zwei Einkaufstüten und auf dem Rücken einen kleinen Rucksack, mit dem er das Haus auch wieder verließ. Er blickte sich nervös um und sah seine Mutter gar nicht an, während sie auf den Fahrstuhl warteten.
Und Mrs. Ming. Auch sie feierte eindeutig kein fröhliches Wiedersehen. Ihr Blick war zu Boden gerichtet, dann auf ihre Uhr. Hatte sie einen dringenden Termin? Sie schien sich ziemlich unwohl in ihrer Haut zu fühlen. Immer wieder schüttelte sie Regentropfen von ihrem Schirm. So brauchte sie ihren Jungen nicht anzuschauen.
Ich stoppte die digitale Aufzeichnung und löschte alles von Jacks Ankunft bis jetzt, dann schaltete ich die Kameras aus. Ich hatte keine Lust, gefilmt zu werden.
Rasch verließ ich den Sicherheitsraum, vorbei an der Frau, die bei dem bewusstlosen Portier hockte, ein Handy ans Ohr gedrückt. Sie rief mir zu, ihr zu helfen, doch ich eilte weiter.
Ich ließ mich in der Menge treiben, nur weg aus dieser Gegend. Bei der nächsten Subway-Station stieg ich hinunter und fuhr bis zum Grand Central Terminal. Dort betrat ich einen Laden und kaufte einen Rucksack, in dem ich den Laptop verstaute.
Ich versuchte Leonie auf dem Handy zu erreichen, doch sie meldete sich nicht. Das kam mir verdächtig vor. Vielleicht wollte sie nicht telefonieren, während sie fuhr, doch ich nahm an, dass sie für mich eine Ausnahme gemacht hätte.
Einen Moment lang fühlte ich mich innerlich zerrissen. Ich hatte die Adresse eines leerstehenden Hauses, in dem sich mit hoher Wahrscheinlichkeit meine Zielperson aufhielt. Und wenn man vorhat, jemanden umzubringen, dann ist ein leeres Gebäude in New York City ein günstiger Ort dafür. Doch ich hatte
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