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Die letzte Nacht der Unschuld

Die letzte Nacht der Unschuld

Titel: Die letzte Nacht der Unschuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: India Grey
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des Holzfeuers sich mit den Spuren von Kräutern und Wein vom gestrigen Abendessen vermischt hatte, überrollte ihn eine Welle des Verlangens nach Colleen. Er musste von hier verschwinden. Es hatte keinen Sinn, noch länger zu bleiben. Francines empfohlene Ruhepause war alles andere als ruhig gewesen, und er machte sich nur etwas vor, wenn er darauf hoffte, dass seine Erinnerung zurückkommen würde.
    Oder dass Colleen zurückkommen würde.
    Der Gedanke kam aus dem Nirgendwo und ließ unwillkommene Lust in ihm aufflammen. Er wollte gar nicht, dass sie zurückkam. Er langweilte sich, nur deshalb dachte er an sie. Er saß hier fest und hatte nichts zu tun, ihm fehlte die Trainingsroutine. Im Bett haftete noch ihr Duft. Das Glas, aus dem sie getrunken hatte, stand noch immer auf dem Nachttisch. Seit sie sich voneinander verabschiedet hatten, hatte er mit keiner Menschenseele mehr gesprochen.
    Und überhaupt … noch nie zuvor war er verlassen worden. Er war immer derjenige gewesen, der sich getrennt hatte.
    Gereizt legte er die Skimontur ab und packte sie in seine Reisetasche. Dann klaubte er die Sachen zusammen, die überall zerstreut herumlagen. Als er das Hemd aufhob, schloss er für einen Moment die Augen.
    Wie süß und sexy Colleen darin ausgesehen hatte, als sie ihm von jener Nacht in Monaco erzählte …
    Er knüllte das Hemd zusammen und stopfte es ganz unten in die Tasche, so als könne er damit auch das Verlangen begraben. Prüfend sah er sich um, ob er noch etwas vergessen hatte.
    Unter der Kommode schaute etwas hervor. Er bückte sich und holte eine schwarze Abendtasche hervor. Francines? Er bezweifelte, dass sie hier draußen in den Bergen etwas so Formelles brauchte.
    Er ließ den Verschluss aufschnappen und warf einen Blick hinein. Die Einladung zur Campano-Party … dann musste diese Tasche Colleen gehören. Neben der Einladung steckte ein Umschlag. Cristiano nahm ihn heraus und drehte ihn um.
    Er war an ihn persönlich adressiert.
    Sein Puls beschleunigte sich. Einen Moment überlegte er, den Umschlag zu zerreißen oder ihn in die Kaminglut zu werfen, wenn er die Hütte verließ.
    Die Ausflüchte eines Feiglings.
    In seinem Kopf hörte er die verächtliche kalte Stimme der Mutter Oberin. Mit zusammengebissenen Zähnen ließ er sich auf das Bett sinken und öffnete den Umschlag. Der Brief war glücklicherweise nicht sehr lang und Colleens Handschrift fein und gut leserlich, dennoch hüpften die Buchstaben vor seinen Augen durcheinander, ordneten sich um …
    Dai sbrigati, Cristiano! Streng dich mehr an!
    Er fluchte leise. Er saß nicht mehr im Klassenzimmer, Mutter Oberin stand nicht hinter seinem Rücken, den Stock in der Hand und bereit, diesen auf seine Handflächen niedersausen zu lassen, wenn er einen Fehler beim Lesen machte.
    Konzentrier dich! Seither bist du weit gekommen …
    Lieber Cristiano,
    ich weiß nicht, ob du dich an mich erinnerst …
    Colleens Stimme hallte in seinem Kopf, während er sich mühevoll Wort um Wort erlas. Plötzlich konnte er sie regelrecht neben sich spüren, sah ihr Lächeln vor sich, das diese wunderbaren Grübchen in ihre Wangen zauberte. Sie blickte ihn mit diesen sanften blauen Augen an …
    Augen, in denen verächtliches Mitleid zu lesen wäre, könnte sie ihn jetzt wirklich sehen. Abrupt stand Cristiano auf und zerriss den Brief in vier Teile. Er brauchte sich das nicht anzutun. Brauchte sich nicht in einen Raum zurückzuversetzen, in dem es nach Kreide und Bleistiftspänen roch und in dem er immer Angst vor der Bloßstellung gehabt hatte. Der Dummkopf, der Versager.
    Angewidert warf er die Schnipsel auf das Bett und ging ins Bad, um sich kaltes Wasser ins Gesicht zu spritzen. Als er den Kopf hob, schaute ihm aus dem Spiegel ein unrasiertes bleiches Gesicht mit tief liegenden Augen entgegen.
    Du bist ein Taugenichts, Cristiano, genau wie dein Vater. Aus dir wird nie etwas werden.
    Dieses Mal war es die Stimme seiner Mutter. Gesù , er wurde verrückt! Es wurde höchste Zeit, dass er zum Training zurückkehrte. Zurück zu der Person, die er mit eisernem Willen und harter Arbeit aus sich gemacht hatte. Zurück zum dreimaligen Weltmeister. Francine irrte sich. Er brauchte sich nicht zu erinnern – er musste vergessen.
    Im Schlafzimmer zog er unwirsch den Reißverschluss der alten Ledertasche zu und hievte sie vom Bett. Dabei flogen die Papierschnipsel zu Boden. Er bückte sich, um sie aufzuheben … und erstarrte. Sein Puls raste, er bekam keine Luft

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