Die letzte Nacht der Unschuld
sie an. „Was? Dass ich Rennfahrer bin? Oder sein Vater? Mir ist nicht klar, was deiner Ansicht nach schlimmer ist.“
„Wenn du es so ausdrückst … beides ist gleich schlimm. Aber ich meinte, er soll noch nicht wissen, dass du sein Vater bist. Es ist zu früh. Und zu plötzlich. Vor allem jetzt, wenn er krank ist.“ Es irritierte sie, dass die Schwestern Cristiano mit offenem Mund nachstarrten, als sie an der Station vorbeigingen. Doch noch befremdlicher fand sie es, dass sie wie ein Elternpaar aussehen mussten, auf dem Weg zu ihrem kranken Kind. „Und er ist schüchtern gegenüber Leuten, die er nicht kennt, vor allem gegenüber Männern. Also erwarte nicht zu viel von ihm.“
„Nein, werde ich nicht.“
Die Tür zu Alexanders Zimmer kam in Sicht. Colleen hatte das Gefühl, vorrennen, ihren Sohn in die Arme ziehen und festhalten zu müssen, damit niemand ihn ihr wegnehmen konnte.
Colleen trat zuerst in das Zimmer. Alexander saß aufrecht im Bett, Lizzie und er hatten die Köpfe zusammengesteckt und schauten sich gemeinsam das Buch mit den Rennautos an. Einige der Kontrollmonitore waren aus dem Zimmer entfernt worden, es wirkte jetzt größer und weniger bedrohlich.
Lizzie schaute auf. „Du bist wieder da!“ Sie lächelte strahlend. „Und du siehst auch schon viel besser aus. Wie …“ Abrupt brach sie ab, als sie Cristiano hinter Colleen in der Tür erscheinen sah.
„Lizzie, das ist Cristiano Maresca. Cristiano – Lizzie Hill“, stellte Colleen die beiden einander vor.
Mit ausgestreckter Hand ging Cristiano auf Lizzie zu, ein kleines Lächeln auf den Lippen. „ Molto piacere , Lizzie.“
Verdrießlich bemerkte Colleen, wie Lizzie tatsächlich rot anlief. Die burschikose, selbstsichere Lizzie, die nie ein Blatt vor den Mund nahm, war in Sekundenbruchteilen Cristianos Charme verfallen, genau wie jede andere! Nur gut, dass Cristiano seine Aufmerksamkeit jetzt auf Alexander lenkte.
„Dann bist du wohl …“
Alexander sah Cristiano mit einem klaren Blick an. „Automann“, sagte er, bevor Cristiano seinen Satz zu Ende sprechen konnte.
Colleen ging zum Bett ihres Sohnes. „Was hast du gesagt, mein Schatz?“
Alexander schaute Cristiano offen an. „Das ist der Mann mit dem Auto. In meinem Buch.“
Colleen öffnete den Mund, schloss ihn dann aber wieder. Sie bezweifelte, dass die beiden sie überhaupt hören würden. Sie musterten einander mit ernsten Mienen.
„Ich heiße Cristiano.“
„Mit dem Auto. Siehst du? Hier!“ Alexander blätterte im Buch zurück, bis er auf das ganzseitige Foto von Cristiano stieß, der neben seinem Rennwagen stand.
Cristiano ließ sich vorsichtig auf der Bettkante nieder, um gemeinsam mit Alexander das Foto zu betrachten. Colleen musste plötzlich Tränen zurückblinzeln, als sie die beiden dunklen Schöpfe so eng beieinander sah.
Das war es doch, was sie sich immer gewünscht hatte, oder? Warum tat es dann so weh?
„Ja, das ist mein Auto.“ Die tiefe Stimme drang in Colleens Gedanken wie eine tröstende Liebkosung. „Magst du Autos?“
„Oh ja“, kam es prompt von dem Jungen zurück. Er griff nach dem Modellauto, das neben ihm auf dem Betttisch stand. „Ich habe ganz viele Autos. Das ist mein Spider.“
Cristiano nahm das hingehaltene Modellauto an und studierte es eingehend. „ Magnifico “, sagte er schließlich ernst und gab es wieder zurück. „Ich wünschte, ich hätte einen Spider.“
Alexanders Gesicht glühte vor Stolz. „Welches Auto hast du denn?“
„Einen Campano. Im Moment teste ich den neuen CX8.“ Sein Blick glitt zu Colleen, und ein Feuerwerk von Emotionen explodierte in ihr.
Alexander machte einen kleinen Hüpfer auf dem Bett. „Kann ich mitfahren? Bitte, bitte!“
Cristianos Blick hielt Colleens noch immer gefangen, und sie glaubte, nicht mehr atmen zu können. Zwischen dem Mann da auf dem Bett und dem nüchternen, distanzierten Fremden im Hotelzimmer lagen Welten. Hoffnung flammte in ihr auf.
Cristiano blickte Alexander wieder an. „Sicher“, meinte er rau. „Wenn deine mamma es dir erlaubt. Aber erst musst du ganz gesund werden.“
„Darf ich, Mummy? Darf ich? Oh bitte“, bettelte Alexander begeistert.
In diesem Moment begriff Colleen, dass sie ihn verloren hatte. Oder besser … dass es einen Teil in ihrem Sohn gab, der ihr nie gehört hatte.
11. KAPITEL
„Und deshalb habe ich beschlossen, Dominic zu verlassen und mich als nackte Trapezkünstlerin dem Moskauer Staatszirkus anzuschließen. Was hältst du
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