Die letzte Nacht
gewiss.«
»Es ist unbedingt erforderlich, dass alles vertraulich läuft. Aus diesem Grund haben wir einen bestimmten Tag gewählt, der Ihnen zu gegebener Zeit mitgeteilt wird. Es wird ein Sonntag sein, sodass bei der Abwicklung nur zwei Personen anwesend sind: Sie und eine Sicherheitskraft. Ich ersuche Sie, Herr Belloni, sich darum zu bemühen, unseren Kunden in jeder Weise zufriedenzustellen.«
»Selbstverständlich. Wird er persönlich kommen, oder …«
»Nein er schickt einen Emissär seines Vertrauens mit dem Geld. Sie nehmen es entgegen, unterzeichnen die Empfangsbestätigung und legen es in den Safe. Dann muss noch eine Einzahlung erfolgen. Das dürfte nicht schwer sein, oder?«
»Nein, gewiss nicht. Seien Sie unbesorgt, Herr Koller.«
Koller war nicht besorgt. Er war ein Spezialist für solche Angelegenheiten. Er verabschiedete sich von Direktor Belloni und lehnte sich zurück. Mit seinem kräftigen Körper, dem runden, sorgfältig rasierten Gesicht, wirkte Koller wie eine schlichte Person: Er hätte der Hausmeister eines Kindergartens sein können.
Er schaltete den Laptop an, gab Benutzernamen und Passwort ein. Er öffnete den Ordner mit den persönlichen Unterlagen. Von dort hatte er mit einem weiteren Passwort Zugriff auf eine externe Festplatte, auf der die Details zu den Konten einiger Kunden gespeichert waren. Der Server, auf den seine engsten Mitarbeiter zugreifen konnten, hatte tatsächlich eine Menge Grauzonen.
Das Konto von Enea Dufaux war an keiner Stelle als das Konto von Enea Dufaux erkennbar. Auch in dem zugangsbeschränkten Bereich war es schlicht das Konto 522.776. FK . Koller, der oberste Chef und wenige weitere Personen wussten, dass sich hinter diesen Zahlen Dufaux verbarg, ein italienisch-schweizerischer Geschäftsmann, der in der Lombardei lebte und seine Tentakel in ganz Europa ausstreckte.
Koller studierte die Details des Kontos. Zahlungseingänge, Zahlungsausgänge, größere Bewegungen. Dufaux hatte mittlerweile fast alle wichtigen Operationen der Junker-Bank übertragen. Er hatte weiteres Geld bei anderen Banken – man sollte nie alles auf eine Karte setzen –, aber dafür plante er jetzt eine Einzahlung von ziemlicher Größenordnung. Bargeld, schön gebündelt in geeigneten sportlichen schwarzen Taschen und unter tausend Sicherheitsvorkehrungen persönlich übergeben. »Kritisches Geld«, wie man in den einschlägigen Kreisen zu sagen pflegte, dessen Annahme in der Führungsebene der Junker-Bank einige Diskussionen ausgelöst hatte.
Dufaux’ Zahlungen waren riskant: Die Schweiz kämpfte in vorderster Reihe gegen die Geldwäscherei. Nach der Krise und dem Einbruch im Finanzwesen waren die Kontrollen noch schärfer geworden. Aber die Junker-Bank war skrupellos und Koller ein Spezialist im Spurenverwischen. Im Gegenzug hatte sich Dufaux für die Unterstützung einiger Risikofonds eingesetzt, die genau in den Aufgabenbereich von Koller und seinem Team fielen. Letztlich bringt Geld immer neues Geld hervor, und die Schuld des Erzeugergeldes fällt nie auf das erzeugte Geld zurück.
In der Kontodatei 522.776. FK gab es einen absolut vertraulichen Sektor, auf den man nur mit einem weiteren Passwort Zugriff hatte. Manchmal trauerte Koller den alten Zeiten vor Beginn des digitalen Zeitalters nach. Jeden Monat wechselten die Passwörter, und er konnte sie immer erst nach drei Wochen auswendig. Jedes Mal musste er aufstehen, nachsehen und an den Computer zurückkehren. Ein verdammter Aufwand. Die einzigen Orte, an denen es erlaubt war, Passwörter aufzubewahren, waren sein Privatsafe zu Hause und sein Sicherheitsschließfach in der Bank.
An diesem Tag jedoch, ein Mittwoch gegen Ende August, die vierte Woche im Monat, wusste Koller das Passwort auswendig. Er aktualisierte die Datei, indem er den Verweis auf Bellinzona hinzufügte. Dann schaltete er den Computer aus und erhob sich.
Es war zwanzig nach zwölf. Er musste sich beeilen. Um halb eins war er zum Essen mit Fischer verabredet, einem Kollegen von der Sicherheitsabteilung. Koller wusste aus Erfahrung, dass man sich mit denen von der Sicherheit gut stellen musste: Fühlten sie sich provoziert, konnten sie innerhalb kürzester Zeit ganze Bereiche lahmlegen.
Der Paradeplatz war von Sonnenschein und Trams überflutet. Koller hätte sich beinahe von einem dieser neuen Modelle überfahren lassen, die irgendein kreativer Angestellter mal »Cobra-Tram« getauft hatte. Modern und lautlos wie sie waren, behelligten diese Wagen
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