Die letzte Nacht
wollte dich bloß fragen: Bist du sicher, dass alles gelöscht werden soll? Das ist gutes Zeug, weißt du?«
»Gutes Zeug? Wirklich? Als mein Cousin mir den Computer geschenkt hat, hat er mir nicht gesagt, dass …«
»Pass auf, wir machen es so. Ich lösche die persönlichen Dateien und die Festplatte von … von deinem Cousin, aber ich lass die Anwendungsprogramme drauf. Das macht einen kleinen Aufpreis, aber dafür kannst du ihn weiterverkaufen und …«
»Weiterverkaufen? Und wer hat dir gesagt, dass ..?
»Du kannst ihn weiterverkaufen, hab ich gesagt, und einen höheren Preis verlangen. Okay?«
Der alte Maulwurf nickte ergeben.
»Und wann wird er fertig sein?«
»Och, sagen wir, ich ruf dich an. Ein Tag, eine Woche, kommt drauf an.«
»Ach so, natürlich, dank dir Giotto, bis dann.«
Der Maulwurf schlurfte hinaus und verschwand gleich darauf im Gewühl der Langstrasse. Raspelli stand auf der Schwelle und sah hinaus auf die Straße, wo ein feiner Regen fiel. Frauen mit bunten Windjacken kamen vorbei und Männer auf dem Fahrrad, eine gefaltete Zeitung zum Schutz gegen den Regen. Ein paar Meter weiter bremste abrupt eine Tram. Raspelli wandte sich um, und bemerkte einen Mann, der in einen Mantel gehüllt war und aussah, als käme er nach einem Herbstgewitter von den Feldern.
Überrascht stellte er fest, dass dieser Mann Jean Salviati war.
»Habt ihr hier in Zürich überhaupt einen Sommer?«, murmelte der in den Mantel gehüllte Mann vor der Ladentür, als wolle er sich an niemand Spezielles wenden.
»Also du bist Salviati«, sagte Raspelli auf Deutsch.
»Ja, der, der kein Deutsch spricht.«
»Und der, der sich eine Villa in der Provence zugelegt hat.«
»So könnte man sagen. Kann ich reinkommen, oder stehst du gern im Regen rum?«
Raspelli kochte Tee, wozu er sich eines ziemlich altersschwachen Wasserkochers bediente, der auf unerklärliche Weise zwischen einem Drucker und einem Modem gelandet war. Salviati umfasste die warme Tasse mit den Händen und sagte:
»Ich bin gekommen, weil ich deine Hilfe brauche.«
»Bist du wieder im Geschäft?«
»Nicht wirklich. Wie spät ist es übrigens?«
»Viertel vor zwölf. Ich wollt gerade schließen. Wenn …«
In diesem Augenblick erscholl eine Melodie im Computerladen. Raspelli zog die Augenbrauen hoch, und selbst ein paar alte Macintoshs schienen zusammenzufahren.
»Mein Telefon«, erklärte Salviati, derweil er seine Taschen nach dem Handy durchwühlte. »Ich hab’s nicht geschafft, den Klingelton zu ändern.«
Er nahm den Anruf entgegen und verdeckte das Mikrofon mit der Hand.
»Kann ich?«
»Natürlich«, antwortete Raspelli, noch immer mit hochgezogenen Augenbrauen, »fühl dich ganz wie zu Hause.«
»Hallo?«, sagte Salviati, während sich Raspelli höflich zurückzog.
»Hallo.«
»Wer … Lina, bist du’s?«
Schweigen.
»Ja, ich bin’s.«
»Lina! Wie geht es dir, wo bist du?«
»Sie behandeln mich gut.«
»Wer?«
»Ich kann nicht. Das Telefon ist lautgestellt, sie wollen nicht, dass …«
»Wo bist du?«
»Ich kann nicht.«
»Verstehe. Geht es dir gut?«
»Ja. Du … es tut mir leid …«
»Es tut dir leid?«
»Ich …«
»Es ist doch nicht deine Schuld.«
»Was?«
»Es braucht dir nicht leidzutun, du kannst nichts dafür.«
»Aber die Schulden …«
»Lass gut sein. Wenn ich geahnt hätte, dass du Probleme mit diesem Idioten von Forster hast … Aber sei unbesorgt. Du wirst bald freikommen.«
»Aber Papa, sie verlangen, dass du …«
»Ich weiß.«
»Das ganze Geld, ein Riesending …«
»Ich weiß, mach dir keine Sorgen. Das ist mein Job.«
»Und wenn es schiefgeht? Wenn diesmal …«
»Lina? Ich hab dir gesagt, dass ich es schaffe. Hör zu, bist du sicher, dass sie dich gut behandeln? Warum haben sie dich nicht eher telefonieren lassen?«
»Ich … ich weiß es nicht, aber mir hat hier keiner was Böses getan.«
»Wer ist bei dir? Marelli?«
»Ich kann nicht.« Schweigen.
»Ja, natürlich«, sagte Salviati nach ein paar Sekunden. »Du kannst nicht. Aber ich will, dass du mich morgen wieder anrufst. Das ist meine Bedingung dafür, dass ich mache, was sie von mir wollen. Sag ihnen das!«
»Ja.«
»Und versuche, ruhig zu bleiben.«
»Ja. Ich muss jetzt Schluss machen.«
»Ciao. Mach’s gut!«
»Ciao.«
Salviati verharrte einen Augenblick in Schweigen. Nichts. Keine Hinweise. Keine Anhaltspunkte. Lina war weit weg, an einem von Forster ausgewählten Ort. Und er musste nach seiner Pfeife tanzen. Aber
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