Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne
Nun, wollt Ihr es wissen, Bruder Edmund?«
Er antwortete nicht. Er sah wahrhaft leidend aus. Aber ich konnte mich nicht mehr zurückhalten. »Er hat meinen Vater gefoltert, um mich dazu zu bringen, dass ich hierher zurückkehre und für ihn Spitzeldienste leiste. Hat Euer hochgeschätzter Bischof Gardiner Euch das nicht verraten?«
Bruder Edmund starrte mich entsetzt an. »Mein Gott, das kann doch nicht möglich sein.«
»Er wurde im Tower vor meinen Augen auf die Streckbank gespannt, und Gardiner hat den Befehl dazu gegeben.« Tränen der Wut sprangen mir aus den Augen. »Der Bischof hat mich gezwungen, hierher zurückzukehren, wo ich nicht erwünscht bin. Ihr habt von den Kommissaren gehört, dass ich in Smithfield festgenommen und eingesperrt wurde. Bischof Gardiner hat das Kloster unter Druck gesetzt, um zu erreichen, dass ich wiederaufgenommen wurde. Mein Vater ist immer noch im Tower. Und ich soll hier, in Dartford, ein seit langem verborgenes Kleinod aufspüren. Gott allein weiß, was aus meinem Vater – und mir – werden wird, wenn es mir nicht gelingt.«
Bruder Edmund fragte leise: »Was sucht er, Schwester Joanna, dass er nicht vor den schlimmsten Mitteln zurückschreckt, um es an sich zu bringen?«
»Wenn er Euch das wissen lassen wollte, hätte er es Euch gesagt.« Bruder Edmund sah so betroffen aus, dass mir meine Schroffheit beinahe leid tat.
Wir schwiegen beide. Zwei Rotkehlchen flogen auf die Mauer des Leprahospitals und stimmten einen fröhlichen Zwiegesang an. Ich hätte am liebsten den nächsten Stein nach dem fröhlichen Pärchen geworfen. Es war entsetzlich, eine so mörderische Wut zu empfinden.
»Was ist mit Bruder Richard?«, fragte ich schließlich. »Warum ist
er
nach Dartford gesandt worden?«
»Ich weiß es nicht genau«, antwortete Bruder Edmund. »Wir sprechen nicht darüber – nicht direkt. Aber ich glaube, er soll das Kloster schützen, während Ihr forscht.«
»Und dafür bekommt er eines Tages sein eigenes Kloster und wird endlich Prior?«, fragte ich bitter.
»Nein, auf diese Art von Quid pro quo kann ich verzichten.« Bruder Richard war aus dem Schutz der Bäume getreten.
»Ich bin Euch gefolgt, Schwester Joanna«, sagte er ohne alle Verlegenheit. »Ich fand, in diesem Augenblick der Krise sei energischeres Handeln angesagt.« Er fegte sich das staubige braune Laub von den Schultern seines Gewands, während er näher kam. »Ich habe genug vom Versteckspielen im Gebüsch.«
Bruder Edmund war ebenso wie ich einen Moment vollkommen sprachlos.
»Euer gewohnter Scharfsinn hat Euch nicht getrogen, Bruder Edmund«, fuhr er fort. »Bischof Gardiner hat mich angewiesen, das Kloster zu schützen und, soweit wie möglich, auch Schwester Joanna bei ihren Nachforschungen. Was sich in gewissen kritischen Momenten als recht anstrengend erwies.« Er seufzte tief.
»Aber von welcher Krise sprecht Ihr, Bruder?«, fragte Bruder Edmund. »Cromwells Beauftragte sind unverrichteter Dinge abgezogen.«
Bruder Richard stieß seine Fußspitze in den Boden. »Schon gefroren. Der Winter steht vor der Tür. Es wäre kein Leichtes, eine Klosteranlage wie Dartford, die reinste Festung, zu dieser Jahreszeit niederzureißen, schon gar nicht, wenn eventuell Grabungen nötig sind. Damit wartet man besser bis zum Frühjahr, wenn der Boden wieder weich ist.«
»Gibt es denn kein Mittel, ein solches Schicksal abzuwenden?«, fragte ich.
Er lachte bitter. »O doch, gewiss. Ich glaube, die Priorin hat mit Layton und Legh einen Handel abgeschlossen. Sie haben ihr verraten, wonach sie suchen, und sie hat die feste Absicht, das Gesuchte für sie zu finden.«
»Hat sie Euch das gesagt?«, fragte Bruder Edmund.
»Nein, natürlich nicht. Reine Mutmaßung, die auf logischer Überlegung und Lauschen an der Tür beruht. Dartford hat eine Gnadenfrist bis zum Frühjahr erhalten. Wenn sie den begehrten Gegenstand findet, wird Dartford verschont. Wenn nicht, wird es Stein um Stein abgetragen.«
»Nein, nein«, jammerte ich.
»Aber wenn weder Cromwells Leute noch Schwester Joanna dieses Stück bis heute gefunden haben, wie will
sie
es dann bewerkstelligen?«, fragte Bruder Edmund.
»Man darf die Priorin nicht unterschätzen«, sagte Bruder Richard düster. »Diese Frau ist eine Plage.« Er rieb sich verdrossen das Gesicht. »Sie ist eine Mischung aus erbärmlichem Urteilsvermögen und unheimlicher Schlauheit, und das ist so ziemlich das Gefährlichste, was es gibt. Sie glaubt allen Ernstes, wenn sie
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