Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne
sah mich neugierig an. »Wo hält Euer Vater sich jetzt auf?«
»Er bezahlt den Preis dafür, dass er seinem Gewissen gefolgt ist und nicht seinem Ehrgeiz«, versetzte ich scharf.
Marys Augen blitzten auf. »Ihr macht es Euch leicht mit Eurem Urteil, Joanna. Ihr seid ja nie bei Hof, Ihr versteckt Euch auf Stafford Castle oder in Eurem Kloster; Ihr wisst nicht, was es bedeutet, sichin der Gegenwart des Königs aufzuhalten. Wie wütend er aufbraust, wenn ihm etwas nicht passt. O nein, Ihr habt keine Ahnung, wie furchterregend er sein kann.«
»Da täuscht Ihr Euch«, rief ich heftig. »Ich weiß besser als jede andere, wie man in König Heinrichs Gegenwart zittert.«
Zornig auf mich selbst biss ich mir auf die Lippe, als Mary und Bruder Edmund mich erstaunt anblickten. Wie hatte ich mich hinreißen lassen können, so viel preiszugeben? Brüsk wandte ich mich zur Tür. »Wir brechen jetzt auf«, sagte ich.
»Aber Ihr seid doch eben erst angekommen?«, protestierte Mary mit einem Blick zu Edmund.
»Es tut mir leid«, entgegnete ich mit Entschiedenheit.
»Aber wohin wollt ihr denn?«, fragte sie schmollend.
»Zur Abtei Malmesbury«, antwortete ich. Bruder Edmund warf mir nur einen kurzen Blick zu. Wieder hatte ich zu viel gesagt.
»Das ist weit von hier, und die Straßen sind in schlechtem Zustand«, sagte sie. »Ihr könnt es keinesfalls vor Sonnenuntergang erreichen.«
»Wir suchen uns unterwegs ein Gasthaus.«
»Ein
Gasthaus
?«, rief sie ungläubig. »Welch ein Gedanke!« Sie musterte Bruder Edmund von oben bis unten, und wieder erschien dieses verschmitzte Lächeln. »Aber wer bin ich schon, Euch in Euren Plänen zu stören, Cousine Joanna.«
Diesmal war ich so peinlich berührt wie Bruder Edmund.
Mit ihrer säuerlichen Kammerfrau im Gefolge führte sie uns durch das Schloss. In der Vorhalle rief sie einer anderen Bediensteten zu: »Lass sofort Luke holen!« Zu uns gewandt fügte sie hinzu: »Ihr braucht einen Führer nach Malmesbury. Der Junge kennt hier in der Gegend jeden Winkel.«
»Aber wir werden vielleicht nicht auf diesem Weg zurückkommen«, wandte Bruder Edmund ein.
»Er kennt sich aus. Er findet den Weg schon«, entgegnete sie.
Der Junge, den sie uns präsentierte, war der Flachskopf, der uns zuvor die Pferde abgenommen hatte. »Luke, weißt du den Weg zur Abtei Malmesbury?«, fragte sie ihn.
»Ja, Durchlaucht«, antwortete er mit einer Verbeugung.
»Dann führe diese Herrschaften«, befahl sie. »Nimm ein schnelles Pferd.«
Wir verabschiedeten uns. Mary blickte uns nach, als wir, jetzt von John und Luke begleitet, davonritten. Einmal winkte ich ihr noch zu. Ich hörte wieder das Knirschen der Ketten, als das Fallgatter hinter uns herabfiel. Sobald wir die Zugbrücke überquert hatten, lenkte ich mein Pferd nahe an das von Bruder Edmund heran. »Und – was haltet Ihr von der Tapisserie?«
»Es gibt gewisse Ähnlichkeiten mit der anderen, der in Eurem Kapitelsaal. Eine junge Frau wird von einem Mann bedroht und von einer älteren Person, einem Familienmitglied, gerettet – wenigstens halbwegs.«
»Was kann das mit der Athelstan-Krone zu tun haben?« Ich sprach leise.
»Ich weiß es nicht.«
»Glaubt Ihr, der andere Teppich, der in Lambeth, könnte uns mehr sagen? Der mit den tanzenden Schwestern? Vielleicht hat Schwester Helen den gemeint. Er scheint mehr mit dem Kloster zu tun zu haben. Der Besuch hier hat sich jedenfalls nicht gelohnt.«
Bruder Edmund blieb einen Moment still. »Seid da nicht so sicher. Ich glaube, dass Schwester Helen mit der Wahl dieser Geschichten etwas über einen fortdauernden Kampf im Kloster berichten wollte, vielleicht zwischen weltlichen Begierden und göttlichem Heil, vielleicht sogar zwischen Gut und Böse.«
Ich fröstelte.
Kapitel 40
Es war nach Sonnenuntergang, als wir Amesbury erreichten. Wir hatten in der Tat auf schlechten Wegen reiten müssen, bis wir auf eine große Straße gelangten, die London und Exeter verband. Amesbury, mit einer Gemeindekirche und einem kleinen Markt, lag andieser Straße und konnte mit einem ordentlichen Gasthaus aufwarten, wie Luke gesagt hatte.
Der Gastraum war überraschend groß mit hoher weißgekalkter Decke. Der Wirt begrüßte uns an der Tür.
»Mein Name ist Edmund Sommerville. Meine Schwester und ich suchen eine Unterkunft für die Nacht«, erklärte Bruder Edmund. »Wir brauchen zwei Zimmer und Unterbringung für die Pferde und zwei Bedienstete.«
»Oh, es tut mir leid, Sir, wir haben nur noch ein
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