Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne
und nun diesen freundlichen Fremden zu begegnen, zwei Geschwistern, die sich ebenfalls auf Reisen befinden.«
Die anderen Männer blickten lächelnd und mit großer Herzlichkeit zu uns herüber.
»Und Euer Ziel?«, fragte Bruder Edmund.
Bruder Oswald lächelte. »Die göttliche Wahrheit.«
»Amen, Bruder, amen«, riefen die anderen Männer.
»Wir haben ein geistliches Ziel«, erklärte Bruder Oswald. »Und wir suchen es auf unserer Reise durch das Land. In den Klöstern können wir es nicht mehr suchen. Versteht Ihr, unsere Häuser sind alle auf Befehl des Königs aufgelöst worden. Wir wurden gezwungen, sie zu verlassen. Aber das ist kein Hindernis, nein. Wir haben uns zusammengetan – zusammen
gefunden
, könnte man sagen –, um gemeinsam zu reisen. Eines Tages werden wir die Antwort auf unsere Frage finden, wie wir Gott am besten dienen, wie wir den Rest unserer Tage hier auf Erden am besten zubringen können. Und wir werden die höhere Absicht dahinter begreifen, dass er die Auflösung der religiösen Orden in England zuließ.«
Bruder Edmund blickte auf den Tisch hinunter. Seine Schultern zuckten. Ich fürchtete, er würde gleich hier vor allen die Beherrschung verlieren.
»Darf ich Euch etwas fragen?«, bat ich schnell.
»Aber gewiss, Miss Sommerville.«
Wie schändlich, ging es mir durch den Kopf, einen Mann wie Bruder Oswald mit falschem Namen zu täuschen. Doch ich fuhr fort. »Wandert Ihr auf Eurer Reise durch England von Kirche zu Kirche, um im Gebet Erleuchtung zu finden?«
»Wir feiern wann immer möglich die Messe«, antwortete er. »Aber wir suchen Gott auch in den Wäldern und auf den Feldern, auf den Marktplätzen, überall, wo sein weises Walten Gestalt annehmen kann. Wir sind auf unserer Pilgerreise nach Amesbury gekommen, um eine uralte Kultstätte zu besuchen. Einer der ältesten der Erde. Habt Ihr davon gehört? Von Stonehenge?«
Ich setzte mich gespannt auf. »Liegt das hier in der Nähe?«
»O ja. Ich glaube, in diesem Gasthaus steigen vor allem jene ab, die dorthin wollen.«
Als Kind hatte ich schreckliche Geschichten von Stonehenge gehört; dass es eine heidnische Stätte sei, die vor vielen Jahrhunderten von irischen Riesen errichtet worden war. »Aber war es nicht ein Tempel der Druiden?«, fragte ich.
»Wir öffnen unseren Geist und unsere Herzen jedem Zeichen Gottes, Miss Sommerville, und wir haben vernommen, dass Gott manchmal in Stonehenge in der Morgendämmerung zu den Gläubigen spricht.«
Bruder Edmund hob den Kopf. »In der Morgendämmerung?«, fragte er mit belegter Stimme.
Bruder Oswald musterte ihn aufmerksam. Der Blick der blassblauen Augen verweilte bei seiner Haube, als entdeckte er darunter die Tonsur.
»Wollt Ihr Euch uns anschließen?«, fragte er freundlich. »Man kann zu Fuß dorthin gehen. Wir brechen kurz vor Sonnenaufgang auf.«
»O nein, wir sind nicht würdig, Euch zu begleiten«, lehnte Bruder Edmund ab.
Wieder lächelte Bruder Oswald. »Jeder ist würdig im Angesicht der Liebe Gottes«, entgegnete er. »Und obwohl ich Euch heute Abend das erste Mal begegnet bin, spüre ich doch ganz deutlich, dass Ihr und Eure Schwester dazu bestimmt seid, uns zu begleiten.«
Bruder Edmund sah mich an. »Wie Ihr wünscht«, sagte ich, und er nickte dankbar.
Wir verabredeten uns für den folgenden Morgen. Die meisten aus der Gruppe hatten Zimmer, aber Bruder Oswald und zwei andere würden in den Ställen nächtigen, wie er uns erklärte. Er wünsche es so. Bruder Oswald, ein wahrer Zisterzienser, hatte in keinem Bett mehr geschlafen, seit er als Knabe die Gelübde abgelegt hatte.
Unser Zimmer war groß, und der Wirt hatte, wie versprochen, dem Bett gegenüber einen Strohsack hineinlegen lassen. Sogar ein Feuer brannte.
Bruder Edmund verharrte an der Tür. »Ich spüre deutlicher denn je, dass das nicht recht ist«, sagte er. »Ich kann im Stall schlafen wie Bruder Oswald.«
»Aber es ist so viel Platz, den kann ich unmöglich für mich allein beanspruchen«, protestierte ich.
Nach einem langen, unbehaglichen Schweigen sagte er: »Nun gut. Aber wir müssen vor dem Bett eine Decke aufhängen, damit Ihr ungestörter seid.«
Er schaffte es, eine Decke zwischen uns aufzuspannen, und sobald er fertig war, kroch ich unter die Bettdecke. Ich löste Rock und Mieder und legte beide oben auf die Decke.
Im Zimmer war nichts zu hören als das Knistern des Feuers.
»Gute Nacht, Bruder Edmund«, sagte ich nervös.
Er blieb so lange still, dass ich glaubte, er
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