Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne
Zimmer frei.«
Das war eine Überraschung. Bisher waren wir nie auf Schwierigkeiten gestoßen. Um diese Jahreszeit reisten die Leute nicht gern.
»Wir haben eine Benediktinerabtei im Ort«, sagte der Wirt. »Ich lasse mir ja nicht gern ein Geschäft entgehen, aber die Mönche dort sind sehr gastfreundlich. Ihr könntet einen Eurer Leute hinschicken und fragen lassen, ob in ihrer Herberge etwas frei ist.«
Bruder Edmund schüttelte den Kopf. Wir hatten vor dem Aufbruch beschlossen, nicht in Häusern der Kirche abzusteigen; wir fürchteten, dort könnte uns schon die kleinste Unbedachtheit verraten.
»Ah, Ihr seid nicht für den alten Glauben. Es tut mir leid, dass ich das vorgeschlagen habe«, sagte der Wirt nervös.
Bruder Edmund seufzte. »Macht Euch keine Gedanken. Ich bin bereit, einen Aufpreis zu bezahlen. Habt Ihr wirklich nur noch ein Zimmer?«
»Ich wollte, ich könnte Euch entgegenkommen, aber wir haben heute eine große Gruppe hier. Das Zimmer ist geräumig, ich könnte einen zusätzlichen Strohsack hineinlegen lassen, wenn Euch das recht ist.«
Ich stieß Bruder Edmund an. »Wir können jetzt nicht weiter. Wir können mit einem Zimmer auskommen.«
»Nun gut«, meinte er.
Erleichtert sagte der Wirt: »Nebenan, hier, durch diesen Torbogen, bieten wir warme Speisen an. Es ist keine Schenke – also auch für Eure Frau Schwester geeignet. Erlaubt uns, Euch ohne Aufschlag heiße Fischpastete und Bier zu bringen.«
Das war wesentlich verlockender als ein Kanten Brot aus unseren Satteltaschen.
Der Nebenraum mit einem halben Dutzend großer Holztische war einladend. Ein frisch entzündetes Feuer loderte im Kamin. Wir widmeten uns mit Genuss unseren Fischpasteten, und ein Bediensteter brachte uns zwei Krüge kaltes Bier.
»Mit dem Wein der Herzoginwitwe natürlich nicht zu vergleichen«, bemerkte Bruder Edmund lächelnd.
Ich zuckte mit den Schultern. »Es schmeckt doch gut.«
Bruder Edmund betrachtete mich nachdenklich.
»Was ist?«, fragte ich.
»Ich finde Euch bemerkenswert, Schwester Joanna. Weder im Kloster noch auf unserer anstrengenden Reise habt Ihr je geklagt.«
»Sind wir nicht alle bereit, auf leiblichen Genuss und weltlichen Pomp zu verzichten, wenn wir uns für das religiöse Leben entscheiden?«, fragte ich.
»Schon. Aber nach der heutigen Begegnung mit Eurer Verwandten erscheint mir Eure Haltung noch bemerkenswerter.«
Mir wurde warm vor Freude. »Ich dachte, Ihr bewundert die Herzoginwitwe«, gab ich scheu zurück.
Er lächelte. »Sie ist keine Frau, die ein Dominikaner bewundern würde.«
»Gibt es denn überhaupt Frauen, die ein Dominikaner bewundert?«
Er öffnete den Mund und schloss ihn gleich wieder. Bruder Edmund schien, sehr zu meiner Verwunderung, verlegen.
Draußen wurde es laut, ich hörte Männerstimmen, und gleich darauf gesellte sich eine höchst ungewöhnliche Gruppe zu uns. Ein Dutzend Männer verteilte sich auf den freien Plätzen, alle in geistlicher Kleidung, jedoch nicht desselben Ordens. Die meisten waren Benediktiner, aber ich erkannte auch zwei Franziskaner und einen Augustiner. Nur die Dominikaner waren nicht vertreten.
Der Auffallendste unter den Männern war ein Zisterzienser in weißem Habit und schwarzem Skapulier. Er hatte sehr helle Haut, blasse blaue Augen und einen Kranz weißen Haars, obwohl er gewiss nicht älter als fünfunddreißig war. Er musste, dachte ich, ein Albino sein.
Der Zisterzienser setzte sich an den Tisch, der dem unseren amnächsten war. Bruder Edmund konnte seinen Blick nicht von der Gruppe wenden.
»Ich grüße Euch an diesem schönen Abend.« Er hatte eine sanft fließende Stimme. »Ich bin Bruder Oswald.«
Da Bruder Edmund plötzlich von Sprachlosigkeit geschlagen zu sein schien, erwiderte ich: »Und ich grüße Euch, Bruder. Wir sind Joanna und Edmund Sommerville. Wir sind in einer Familienangelegenheit nach Kent unterwegs.«
Er lächelte. »Es ist ein Vergnügen, einem so schönen Paar zu begegnen. Wie lange seid Ihr verheiratet?«
»Wir sind nicht verheiratet.« Endlich hatte Bruder Edmund seine Sprache wiedergefunden. »Wir sind Geschwister.«
Bruder Oswalds Blick wanderte hin und her; zweifellos fiel ihm auf, dass wir keinerlei Ähnlichkeit miteinander hatten. »Ah, sehr schön«, sagte er dann mit seiner einschmeichelnden Stimme. »Brüder, können wir uns nicht glücklich preisen? Zuerst in einer geweihten Kirche die Messe zu hören, dann in dieses Gasthaus zurückzukehren und ein üppiges Mahl zu genießen
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