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Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne

Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne

Titel: Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Bilyeau
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absichtlich in weitem Abstand von Bruder Edmund, undjedes Mal, wenn er sich näherte, ging ich schneller oder begann ein Gespräch mit einem der Brüder. Nach dem dritten Versuch gab er auf und blieb zurück.
    Als wir die Ortsgrenze erreichten, bildeten wir einen langen Zug und folgten Hymnen singend einem schmalen Fußweg aufs freie Feld hinaus. Er führte über eine Reihe niedriger Hügel, während sich am östlichen Horizont allmählich ein schwacher Lichtschein zeigte. Einmal drehte ich mich um und sah, dass Bruder Edmund etwa in der Mitte des Zuges ging. Luke und John folgten ganz am Ende mit den Pferden.
    Auf einer Anhöhe blieb der Franziskaner mit der Kerze stehen. Langsam drehte er sich zu den Nachfolgenden um, hielt die Kerze hoch und blies sie aus. Der Himmel schimmerte in rötlicher Glut.
    »Schnell«, rief jemand, und wir begannen alle, den Hang hinauf zu der Anhöhe zu laufen, auf der der Franziskaner stand. Der Zug löste sich auf, und als wir oben waren, standen wir Schulter an Schulter, einer neben dem anderen.
    Von diesem Hügel aus erblickte ich eine Ansammlung gewaltiger hoher Steine, die in einem unregelmäßigen Kreis stehend eine Handvoll anderer, kleinerer Steine umgaben. Es war das Befremdlichste, was ich je gesehen hatte. Und doch war es vertraut. Als wäre eine Szene aus einem Traum, den ich vor Jahren einmal gehabt hatte, auf dieser welligen Ebene lebendig geworden.
    Als wir gemeinsam auf den Steinkreis zuschnitten, ging über dem Hügel weit hinter Stonehenge die Sonne auf. Dort, wo eben noch hellgrauer Stein und dunkle Erde gewesen waren, entstanden jetzt blendende Kontraste. Gold schimmerte auf Schwarz. Überall zuckten Schatten.
    Der Mönch direkt neben mir begann beim Anblick der Schatten zu lachen. Er war ein dicker Benediktiner mit kleinen braunen Augen und einem grauen Bart. Tränen liefen ihm über das runde Gesicht. Ich hatte an diesem Morgen noch nicht mit ihm gesprochen, hatte vor dem vergangenen Abend nicht einmal gewusst, dass es ihn gab. Aber jetzt lachten wir einander zu wie alte Freunde. Ich bot ihm meine Hand, und er ergriff sie. Seine schwieligen Finger drückten hart gegen meine Hand. Wir legten den Rest des Wegs gemeinsam zurück.
    Als ich mich dem äußeren Steinkreis näherte, begann ich zu zittern. Ich war von der Gewissheit erfüllt, dass alles, was ich in meinem Leben getan, jede Entscheidung, die ich getroffen, jedes Wort, das ich gesprochen hatte, mich zu diesem Hügel geführt hatte.
    Einige Mönche wanderten um die Steine herum, andere knieten nieder und beteten, und wieder andere stellten sich in der Mitte auf, die offenen Hände zum Himmel erhoben. Ich sah, wie Bruder Edmund sich ganz langsam im Kreis drehte und die Steine betrachtete. Bruder Oswald kniete neben ihm und sang.
    Ich trat zwischen zwei äußere Steinsäulen, dreimal mannshoch, um in den inneren Kreis einzutreten. Die mächtigen Steine in der Mitte waren krumm und unförmig, beinahe als wären sie verletzt, und mir fiel auf, wie behütend die äußeren Steine sie umstanden. Es erinnerte mich an unser Kloster, wo wir Schwestern füreinander sorgten. Die Kranken und Gebrechlichen wurden in die Mitte genommen, und die Kraftvollen, Gesunden umgaben sie mit ihrer Fürsorge, um sie zu trösten und zu heilen. Unsere Lebensweise, unsere Hingabe wurden hier gefeiert.
    Ich kniete nieder. Das Licht der aufgehenden Sonne überströmte mein Gesicht. Ich begann zu beten. Ich war noch nicht sehr weit gekommen, als mich jemand mit dem Fuß anstieß.
    »Wir müssen aufbrechen«, sagte Bruder Edmund schroff.
    »Jetzt schon? So bald?«
    »Hier gibt es keine Antworten«, sagte er. »Nur riesige Steine, die vor Jahrhunderten von Heiden einen Hügel hinaufgeschleppt wurden.«
    »Und Bruder Oswald?« Ich schaute hinüber zu dem singenden Zisterzienser.
    »Er wird hier nichts erfahren, und ganz bestimmt nicht, warum Gott die Auflösung der Klöster zulässt.« Bruder Edmunds Ton war barsch. »Wir können ihm und all diesen armen verlorenen Männern nur helfen, indem wir einen Weg finden, um Cromwell aufzuhalten.«
    Bruder Edmund beugte sich zu mir hinunter und zog mich mit überraschend kräftiger Hand auf die Füße. Ohne mich loszulassen, begab er sich auf den Weg zu den Pferden. Als wir an einem struppigenGebüsch vorüberkamen, blieb ich an einem dornigen Zweig hängen.
    »Ihr braucht mich nicht so hinter Euch herzuziehen«, fuhr ich ihn an. »Das hat wehgetan.«
    »Habe ich soeben eine Klage von Euch vernommen,

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