Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne
Schwester Joanna?«, fragte er. »Nun, dann hat uns der Morgen immerhin
ein
denkwürdiges Ereignis beschert.«
Ich riss mich von ihm los. »Was fehlt Euch eigentlich?«
»Verzeiht, ich sollte nicht so reden. Ich empfinde nur einen ungeheuren Schmerz angesichts dieser anständigen Männer. Und Mitleid. Auf dem Weg zu den Steinen hat Bruder Oswald mir erzählt, dass sie das Geld aus ihren Renten zusammengelegt haben. Sie wollen es nicht für ihre Zukunft verwenden oder für Reisen auf den Kontinent, um in anderen Klöstern Unterkunft zu finden. Sie sind entschlossen, ihr Land nicht zu verlassen, und geben das ganze Rentengeld
jetzt
aus, auf diesem sinnlosen Marsch durch England.«
»Seid Ihr sicher, dass
sie
sinnlos handeln und nicht wir?«, fragte ich.
»Nein«, bekannte er kleinlaut.
Ich warf einen letzten Blick auf die Mönche, die, immer noch singend und betend, in Stonehenge zurückblieben, und bedauerte, dass ich sie nie wiedersehen würde.
»Vielleicht finden sie heute die Erleuchtung«, sagte ich, an die Offenbarung denkend, die mir selbst zuteil geworden war, während ich in dem Steinkreis gestanden hatte. »Ihr habt keine Einsicht in die Gebete anderer.«
Bruder Edmund presste einen Moment die Lippen zusammen. Dann sagte er: »Wir müssen nach Malmesbury.«
Wir ritten Richtung Nordwesten. Luke war uns eine große Hilfe – meine Cousine hatte recht gehabt, er kannte in dieser Gegend jeden Weg und Steg. Er führte uns, während wir auf schmalen, holprigen Pfaden, die das Vorwärtskommen schwierig machten, an brachliegenden Äckern und verlassenen Viehweiden vorbei unserem Ziel entgegenritten. Es war kaum zu glauben, dass eine große Abtei, die letzte Ruhestätte eines mächtigen Königs, in dieser schlichten Landschaft lag. Bruder Edmund blickte immer wieder zur Sonne, dielangsam ihren Abstieg nach Westen begann. Er sprach sehr wenig, außer dass er jedesmal Nein sagte, wenn John oder Luke eine Rast vorschlugen.
Um die Mitte des Nachmittags sprach ich schließlich ein Machtwort. »Die Pferde brauchen eine Pause. Ich möchte ebenso schnell ankommen wie Ihr, aber ohne Rast und ohne Futter halten die Tiere das nicht durch, und wir haben keinen Ersatz.«
Nachdem die Pferde angebunden waren, teilten sich John, Luke und ich ein paar Äpfel und etwas Brot. Bruder Edmund stand abseits, die Hände auf dem Rücken, und blickte in die Bäume, die den Straßenrand säumten. An Lukes vorsichtigen Blicken in seine Richtung merkte ich, wie sehr der Junge Bruder Edmund fürchtete.
Mit dem letzten Apfel in der Hand ging ich zu ihm.
»Bitte, Schwester, verlangt das nicht von mir – ich kann heute nichts essen«, sagte er. Ich bemerkte den Schweiß auf seiner Stirn, es ging ihm schlechter denn je.
Plötzlich deutete er auf eine dichte Baumgruppe weitab vom Straßenrand und lief darauf zu.
»Was ist, Bruder?«, rief ich ihm nach. »So wartet doch. Bitte.«
Er lief nur schneller, und ich folgte beunruhigt.
Hinter den Bäumen lag die Ruine eines steinernen Gebäudes, von dem nur noch die Grundsteine und eine halbe Mauer übrig waren. Doch am anderen Ende des rechteckig angelegten Fundaments stand ein seltsames Kreuz. Der Schnittpunkt seiner beiden Balken war von einem Ring umgeben, und seinen Fuß hinauf waren schwache Einkerbungen zu erkennen. Es war vielleicht vier Fuß hoch, mit einem tief gelegenen Schwerpunkt, sodass es aussah, als versänke es langsam in der Erde.
»Das könnte siebenhundert Jahre alt sein!«, rief Bruder Edmund aufgeregt.
»Was ist das für eine Sprache?«, fragte ich, auf die Zeichen deutend.
»Ich bin nicht sicher – keltisch vielleicht.« Er strich ehrfürchtig über das Kreuz und begann zu beten.
Als wir zu den anderen zurückkehrten, fragte er Luke, ob es in dieser Gegend viele solcher Kreuze gebe.
»Ja, Sir«, antwortete der Flachskopf. »Das hier ist der älteste Teil von England.«
»Der älteste?«, wiederholte Bruder Edmund scharf. »Inwiefern?«
Luke zuckte verlegen mit den Schultern. »Das sagen die Leute, Sir. Die Straße hier, Kingsway, ist vor vielen Jahren gebaut worden. Mein Großvater hat sie immer ›Alfred’s Road‹ genannt.«
Bruder Edmund und ich wechselten einen Blick, dann ging er zu seinem Pferd.
»Kommt, brechen wir wieder auf«, rief er uns ungeduldig zu.
Die Sonne sank tiefer. Eigentlich hätte es kühler werden müssen, aber stattdessen wurde die Luft milder, während wir, so schnell die Straße es erlaubte, nach Norden ritten. Es war
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