Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne
stets voller Fragen steckt.« Er sprach mit Nachsicht. »Bischof Gardiner«, erklärte er, »war ein Freund meines Vorgängers. Er weilte häufig in Malmesbury. In der schwierigen Zeit der königlichen Scheidung war er manchmal hier, um Gottes Rat einzuholen. Manchmal aber auch, um nach Einzelheiten über Athelstans Reliquien, insbesondere die Krone zu fragen. Weder mein Vorgänger noch ich selbst noch sonst jemand hier hat dem Bischof je Auskunft über die Krone gegeben. Wir alle würden eher die grausamsten Tode auf uns nehmen, als ihr Versteck preiszugeben.«
»Warum?«, fragte ich.
»Weil die Krone in den Händen Bischof Gardiners weit gefährlicher wäre als in den Händen jedes anderen«, blaffte mich Bruder Timothy an.
»Das wissen wir nicht mit Sicherheit«, warf der Abt tadelnd ein.
Bruder Timothy streckte den Kopf vor, um mich mit zusammengekniffenen Augen zu mustern. »Glaubt mir, ich fühle es, wir sollten dieser Frau nichts sagen«, erklärte er.
»Uns wurde geweissagt, dass ihre Suche sie hierherführen würde – alle beide«, entgegnete der Abt.
»O ja, von Bruder Eilmar.« Der Mönch rieb sich erregt die Hände und sagte zu uns gewandt: »Vor vierhundert Jahren hatte Eilmar mehrere Visionen. Eine zeigte ihm einen Mann und eine Frau, die am Vorabend der Aufteilung hierherkommen würden; er hat sie immer wieder gezeichnet. Die Zeichnung wurde als Vorlage für das Fenster genommen, das Ihr in unserer Kirche gesehen habt. Aber erhatte auch andere Visionen. Bruder Eilmar war überzeugt, er könnte fliegen, und fertigte sich ein Paar Flügel. Eines Tages legte er sie an und sprang von einem Turm. Er brach sich beide Beine. Hinterher erklärte unser braver Mönch, sein einziger Fehler sei gewesen, dass er nicht daran gedacht habe, sich auch einen Schweif anzufertigen.«
Der Abt legte Bruder Timothy beschwichtigend die Hand auf den Arm. »Ihr wisst, zum Träger großer Visionen erkoren zu werden, kann ebenso verwirrend wie erhebend sein.«
Bruder Timothy war nicht zu besänftigen. »Aber sie könnten Spitzel von Gardiner sein. Sie sind Dominikaner, und ich habe gehört, dass der Bischof sich bevorzugt der Dominikaner bedient, um seine Intrigen zu spinnen. Die Gefahr ist ungeheuer groß. Wir könnten die kostbarsten Reliquien in ganz England – und das Wissen um die Krone selbst – dem Teufel ausliefern, den Protestanten.«
Der Abt sagte streng: »Bischof Gardiner ist kein Protestant. Ihr vergesst Euch.«
Ich hatte das Wort ›Protestant‹ nie zuvor gehört, im Gegensatz zu Bruder Edmund offenbar, der an dieser Stelle energisch den Kopf schüttelte.
»Ihre Zahl wird von Tag zu Tag größer«, rief Bruder Timothy erregt. »Und Ihr seht doch das Übel, das sie tun – im Norden verhungern die Armen, weil die Mönche alle entweder getötet oder aus ihren Klöstern vertrieben worden sind. Niemand mehr hilft den Mittellosen und Hungernden mit Almosen; die Kranken und Gebrechlichen wissen nicht, wohin, seit die Hospitäler der Mönche niedergerissen wurden. Cromwell erklärt, an den Orten, wo die Klöster standen, würden neue Hospitäler und Armenhäuser entstehen, aber bisher ist nicht ein einziges errichtet worden. Nicht eines! Die Leute des Königs zerstören alles, aber sie bauen nichts wieder auf.«
Bruder Edmund nutzte die Pause nach dieser Tirade, um das Wort zu ergreifen. »Uns hat weder eine Vision noch eine Prophezeiung hierhergeführt«, sagte er. »Aber wir sind dennoch gekommen. Wir wissen, dass die Krone Athelstans mit Kräften versehen ist, nach denen die Menschen streben. Die Kommissare des Königs haben sie im Kloster Dartford gesucht, und, ja, Bischof Gardiner sucht sie auch. Dringend. Doch er hat uns nicht hergesandt.«
Ich stand wie erstarrt. Ich konnte nicht glauben, dass Bruder Edmund so freimütig mit ihnen sprach.
»Ich schwöre Euch bei meiner ewigen Seele, dass ich die Krone niemandem geben werde, der sich ihrer Kräfte zum Schaden der Gläubigen bedienen könnte.« Bruder Edmunds Stimme zitterte. »Ich werde nichts tun, was unsere heiligen Klöster gefährden würde.«
Der Abt nickte, er schien es zufrieden zu sein. Bruder Timothy jedoch zog erneut mit Erbitterung gegen mich zu Felde.
»Sie wird uns verraten«, beharrte er. »Ich weiß es tief in meiner Seele. Sie ist eine Handlangerin unserer Feinde. Und sie weiß jetzt schon genug, um alles zu verraten. Sind wir nicht alle über die Bosheit und Schwäche des Weibes belehrt worden? Thomas von Aquin sagte,
Weitere Kostenlose Bücher