Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne
sich leisten konnte, seinen Sohn in Cambridge die Rechtswissenschaften studieren zu lassen? So ist es mir jedenfalls bekannt.«
»Das königliche Blut hat er von seiner Mutter Helen«, klärte Bruder Timothy uns auf. »Sie war die uneheliche Tochter von Jasper Tudor, einem Onkel Heinrichs VII. Jasper wiederum war durch seine Mutter, Königin Katharina von Valois, die Witwe Heinrichs V., mit dem französischen Königshaus blutsverwandt.«
»Bischof Gardiner ist also ein Verwandter des Königs«, fasste Bruder Edmund zusammen, und ich hörte wieder diese Stimme, die mit grimmiger Betonung sagte: »
Ich diene dem Haus Tudor.«
Der Abt räusperte sich. »Und nun müssen wir zur Tat schreiten. Diese Reliquien, die sich seit vielen Jahrhunderten in unserer getreuen Verwahrung befinden, werden heute Abend getrennt, um sie vor den ketzerischen Vertretern Thomas Cromwells zu schützen. Bruder Edmund und Schwester Joanna, ich gebe Euch meinen Segen, wenn Ihr das wollt.«
Wir nahmen den Segen des Abts von Malmesbury entgegen. Ich gestehe, dass ich seine Worte nicht hörte; ich war zu verwirrt von allem, was ich gesehen und gehört hatte.
Als Bruder Edmund und ich auf den dunklen Klosteranger hinaustraten, war Wind aufgekommen, der fedrige Wolkenfetzen über einen reich gestirnten Himmel jagte. Draußen auf der Straße erwarteten uns Luke und John.
»Bruder Edmund«, sagte ich, »was habt Ihr mit dem Versprechen gemeint, das Ihr dem Abt gegeben habt? Ich meine, dass Ihr die Krone niemals jemandem geben würdet, der sie gebrauchen könnte, um Schaden anzurichten?«
»Genau das, was ich gesagt habe.« Er sah mich verwundert an. »Das ist doch auch in Eurem Sinn.«
Ich ballte die Hände. »Ihr wisst, dass ich nach Dartford gesandt wurde, um für Gardiner die Krone zu suchen. Ich habe nicht viel für ihn übrig, aber er hat mir versprochen, dass er mit ihrer Hilfe die Klöster
retten
würde, nicht zerstören.«
»Und wie würde er das tun?« Seine Stimme war ganz ruhig.
»Das weiß ich nicht«, rief ich. »Im Tower hat er sich geweigert, etwas darüber zu sagen. Wenn er die Krone in Besitz hat, könnte er durch sie vielleicht der ganzen Christenheit beweisen, dass Reliquien mehr sind als Aberglaube. Wir wissen, dass die Krone mit besonderen Kräften ausgestattet ist. Wir wissen, was denen zugestoßen ist, die sie an sich bringen wollten. Bischof Gardiner könnte dem König mit den Kräften der Krone drohen und ihn zwingen, die Auflösung der Klöster zu beenden.«
Er schüttelte langsam den Kopf.
»Aber Bruder«, protestierte ich, »es ist völlig unsinnig, dass der Bischof mir diesen geheimen Auftrag gegeben hätte, wenn er beabsichtigte, unseren Untergang zu beschleunigen. Und mein Vatersitzt im Tower gefangen, als Pfand dafür, dass ich tue, was Gardiner verlangt.«
»Ihr habt gehört, was der Abt gesagt hat«, entgegnete Bruder Edmund. »Wir können nicht sicher sein, was Bischof Gardiner tun würde. Wir wussten nichts über Gardiners Herkunft. Athelstan sagte, die Krone dürfe nur von einem ›reinen‹ Mann getragen werden. Ich fürchte, ein Gottesdiener von königlichem Blut wie Gardiner erfüllt alle Voraussetzungen. Jetzt, da wir das wissen, dürfen wir nicht zulassen, dass die Krone in seine Hände gelangt. Gardiner hat so viele verraten. Die Gefahr ist zu groß.«
Ich sagte nichts mehr, während wir zur Straße gingen. Aber mir war kalt bis ins innerste Mark. Nicht vom kühlen Nachtwind, der durch meine Haare streifte, nein, schuld daran war die Erkenntnis, dass mein Ziel und das Bruder Edmunds nicht mehr übereinstimmten.
Kapitel 43
Auf der Rückreise nach Dartford besserte sich Bruder Edmunds Befinden. Er sah morgens nicht mehr so zerschlagen aus; ich bemerkte keine Schweißausbrüche mehr und keine Anfälle zorniger Gereiztheit. Neue Kraft schien ihn zu durchfließen. Ich hätte mich darüber freuen müssen, aber ich fühlte mich davon bedroht. Wir begegneten einander mit größter Höflichkeit. Ich hätte gern gewusst, was er zu tun beabsichtigte, wenn wir wieder im Kloster waren, aber ich fürchtete mich auch davor, es zu erfahren. Ich sprach niemals über die Suche nach der Krone.
Aber ich dachte Tag und Nacht daran. Ich war überzeugt, dass es auch in Dartford unterirdische Räume gab – einen ›Dunkelraum‹ – und dass die Krone dort versteckt war. Wenn es stimmte, was ich über Prinz Arthurs Besuch im Kloster gehört hatte, musste der Eingang im Vorderhaus des Klosters sein, nicht in
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