Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne
übrig; er ist ja der Meinung, dass alle anderen weit unter ihm stehen«, gab ich zurück. »Und er ist über sechzig. Nein, das hat sich irgendein jüngeres Familienmitglied einfallen lassen – die Familie ist sehr groß.«
Er warf mir einen skeptischen Blick zu, folgte mir aber ohne ein weiteres Wort. Wir ließen die Pferde in Johns Obhut und schlossen uns so unauffällig wie möglich einer Gruppe junger Leute an, die ins Haus hineindrängte. Wie ich gehofft hatte, war die Empfangshalle voller Gäste, die einander alle zu kennen schienen.
»Lächelt«, flüsterte ich Bruder Edmund zu. »Ihr seht viel zu grimmig aus für ein fröhliches Fest.«
Er versetzte trocken: »Seit ich Dartford verlassen habe, ist mir vieles zugemutet worden, aber im Haus des Herzogs von Norfolk Heiterkeit zu mimen? Das ist zu viel.«
Ich musste lachen und fühlte mich unversehens am Ärmel gezupft.
Ein hübsches rundliches Mädchen mit kastanienbraunem Haar, nicht besonders groß und höchstens vierzehn Jahre alt, sagte: »Willkommen in Norfolk House. Was werdet Ihr denn heute Abend sein? Eine Nonne oder eine Dame?«
Mir blieb der Mund offen stehen.
»Macht doch nicht so ein erschrockenes Gesicht.« Sie kicherte. »Wisst Ihr denn nicht, warum Ihr gekommen seid?«
»Wir sind zum Fest gekommen«, sagte Bruder Edmund.
»Gewiss, aber was werdet Ihr beim Maskenspiel darstellen?«, fragte sie. »Mein Cousin Surrey hat es doch in den Einladungen deutlich erklärt. Ihr könnt Ihr selbst bleiben, eine Dame und ein Herr« – etwas zweifelnd musterte sie unsere schlichte, reisemüde Kleidung –, »oder Ihr könnt eine religiöse Tracht anlegen. Wir haben so viele.« Sie sah Bruder Edmund an, und in ihrer rechten Wange zeigte sich ein Grübchen, als sie lächelte. »Ihr würdet großartig aussehen als Mönch, Sir.«
Wir starrten das Mädchen einen Moment sprachlos an. Dannbegann Bruder Edmund zu lachen. Seine Schultern zuckten; ich dachte, ihm würden gleich die Tränen kommen. Als sich allerdings einige Leute nach uns umdrehten, begann ich unruhig zu werden.
Das junge Mädchen wurde rot. »Lacht Ihr mich aus?«, fragte sie gekränkt.
»Nein, nein«, versicherte Bruder Edmund nach Luft schnappend. »Niemals würde ich das tun.« Er holte tief Atem und fasste sich wieder. »Ich würde sehr gern ein Mönch sein, Miss – darf ich nach Eurem Namen fragen?«
Sie knickste. »Catherine Howard, Sir. Ich wohne hier.«
Bruder Edmund verneigte sich. »Es ist mir eine Ehre, ein Mitglied der Familie kennenzulernen.«
Sie kicherte wieder. »Das braucht es nicht zu sein. Ich bin nur ein unwichtiges Anhängsel.« Sie wies zu den Türen auf der anderen Seite der Halle. »Dort bekommt Ihr die Kostüme. Zuerst wird getanzt, danach wird ein Maskenspiel aufgeführt, das mein Cousin Surrey geschrieben hat. Und Wein ist reichlich vorhanden für alle.«
Mit einem letzten kleinen Winken ging sie weiter zu den nächsten Gästen.
Ich flüsterte Bruder Edmund zu: »Was könnte besser sein? Wir kostümieren uns und suchen die Tapisserie. Und dann verschwinden wir schnell wieder.«
Wir trennten uns, um unsere Kostüme zu holen. Ich legte meinen Winterumhang ab und zog mir einen schwarzen Nonnenhabit über mein Kleid. Es war ein seltsamer Moment; mir schien, als spottete ich unserer Traditionen und Werte. Eine Bedienstete reichte mir eine Halbmaske, und ich band sie um, bevor ich den ausgeliehenen Schleier über mein Haar legte.
Im nächsten Raum warteten die Gäste in langer Reihe, während drüben im großen Saal die Musiker schon zum Tanz aufspielten. Mehr als die Hälfte der Gäste hatte sich als Mönche oder Nonnen verkleidet. Außerdem bemerkte ich drei Bischöfe und sogar einen Kardinal in Scharlachrot. An der Tür zum Saal stand ein Page in der herzoglichen Tracht mit einer Schriftrolle in der Hand. Ein Gast trat zu ihm und sagte etwas, worauf er einen Blick auf seine Liste warf, sich herumdrehte und laut in den Saal hineinrief: »Sir Henry Lisle!«
Ich schreckte zurück. Die Gäste wurden einzeln gemeldet, das hatten wir nicht bedacht. Ich suchte im Vorraum nach Bruder Edmund, konnte ihn aber unter den lachenden, schwatzenden Nonnen und Mönchen nirgends entdecken.
Aufgeregt rannte ich im Gewühl umher, bis ich ihn endlich fand, größer und schlanker als die meisten um ihn herum. Er trug eine Benediktinertracht ähnlich der, in die sich die Mönche von Malmesbury kleideten. Seine Reisehaube hatte er mit einer großen Kappe vertauscht,
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