Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne

Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne

Titel: Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Bilyeau
Vom Netzwerk:
Blick immer noch an der Tapisserie hing, stieß plötzlich einen lauten Schrei aus. Statt den dritten Schritt zu tun, blieb er wie angewurzelt stehen. Der Mann neben ihm warf beim nachfolgenden Sprung das Bein so hoch, dass er mit Bruder Edmund zusammenstieß. Beide stolperten. Bruder Edmund stürzte nicht, aber die Mönchskappe fiel ihm vom Kopf.
    »Was ist denn das?«, rief sein Nachbar spöttisch beim Anblick der Tonsur. »Meint Ihr nicht, Ihr treibt es ein bisschen weit mit der Maske, Sir?« Sein Lachen erstarb, als ihm aufging, dass die Tonsur nicht Teil der Kostümierung war.
    Während die Musiker unverdrossen weiterspielten, kroch Bruder Edmund wie rasend auf dem Boden umher und suchte seine Kappe. Bis hinauf zur Bühne blieben die Tänzer stehen und drehten die Köpfe nach ihm. Ich entdeckte das gesuchte Stück, hob es auf und warf Bruder Edmund mit zitternder Hand die seidene Kappe zu. Der Wurf war zu kurz. Sie fiel zwischen uns auf den Boden.
    »Halt!«
    Der Herzog von Norfolk sprang von der Bühne. Sein Sohn, sichtlich verwirrt, gab den Musikern Zeichen, ihr Spiel zu unterbrechen. Der Herzog war innerhalb von Sekunden bei uns. Ringsumher wurde aufgeregt getuschelt.
    »Was ist das für ein Mummenschanz?«, brüllte der Herzog. »Welcher wahre Mann der Kirche würde in dieser Verkleidung tanzen?«
    Bruder Edmund nahm seine Maske ab und verbeugte sich vor dem Herzog.
    »Bringt ihn zu mir, Durchlaucht!«, rief der Bischof von Winchester mit schallender Stimme.
    »Kennt Ihr diesen Mann?«, fragte der Herzog fassungslos.
    »Tut es einfach«, zischte Gardiner.
    Ich starrte zu Boden. Nur nicht dem Bischof in die Augen sehen.
    Bruder Edmund folgte dem Herzog gelassen. Er tat so, als wäre ich gar nicht da. Ich war verkleidet und noch unerkannt, und ich begriff, dass er mich ignorierte, um mich zu schützen.
    Der Herzog stieß ihn ungeduldig vorwärts. Sie hatten die Bühne fast erreicht, als er mit einem Ruck stehen blieb. Dann machte er ganz langsam kehrt und ging in die Mitte des Saals zurück. Er blickte zu der Kappe hinunter, die immer noch zusammengedrückt auf dem Boden lag, und dann hinauf zu mir, der Person, die ihr am nächsten stand und offensichtlich Bruder Edmunds Tanzpartnerin war.
    »Dreht Euch um«, befahl er schroff.
    Ich gehorchte. Mit seinen groben Soldatenhänden riss er die Bänder meiner Maske auf, dass sie herunterfiel, und drehte mich wieder herum. Nie werde ich das Gesicht vergessen, das er in dem Moment machte, als er mich erkannte.
    Von Neuem war ich dem Herzog von Norfolk ausgeliefert. Ich blickte zur Bühne. Bruder Edmunds Züge waren wie in Verzweiflungerstarrt. Bischof Gardiner, der neben ihm stand, war hochrot im Gesicht.
    Ich bemühte mich, ruhig zu bleiben und mir meine Furcht nicht anmerken zu lassen. Ich hatte längst gelernt, dass man vor diesen beiden Männern keine Schwäche zeigen durfte.
    Und das ist nun das Ende,
dachte ich auf dem Weg zur Bühne. Wir hatten keine einleuchtende Erklärung für unsere Anwesenheit. Wahrscheinlich würde ich schon den folgenden Tag wieder im Tower sein. Am tiefsten bedauerte ich, Bruder Edmund mit in die Katastrophe hineingezogen zu haben. Ich wünschte, ich hätte auf ihn und Bruder Richard gehört und wäre in Dartford geblieben, anstatt mit aller Gewalt meinen Willen durchzusetzen. »Du bist doch ein ungestümes Kind«, hörte ich meine Mutter verärgert sagen.
    Bischof Gardiner kam mit Bruder Edmund die Treppe herunter. »Wohin bringen wir sie?«, fragte er den Herzog.
    Ehe Norfolk antworten konnte, erhob sich an der Eingangstür große Unruhe. Ein Page eilte aufgeregt zur Bühne.
    »Durchlaucht, sie ist hier.«
    »Wer?«, knurrte Norfolk.
    »Prinzessin Maria.«
    Die ganze Gesellschaft versank in Knicksen und tiefen Verbeugungen, als, von zwei Hofdamen gefolgt, die älteste Tochter des Königs in majestätischer Haltung durch den Saal schritt.
    Ich hatte Maria Tudor das letzte Mal bei einem Weihnachtsfest in Greenwich gesehen, als sie drei und ich acht Jahre alt gewesen war. Jetzt war sie über zwanzig und kleiner, als ich erwartet hatte, nicht viel höher gewachsen als die junge Catherine Howard, aber dünner und ganz in Schwarz gekleidet. An einer Kette um ihren Hals lag ein juwelenbesetztes Kruzifix. Während ich sie mit Ehrfurcht näher kommen sah, regte sich in mir gleichzeitig ein heftiges Verlangen, sie zu beschützen. Ihre Mutter, Königin Katharina, hatte mir damals, vor langen Jahren, ihren Schutz ans Herz gelegt.
    Maria Tudor

Weitere Kostenlose Bücher