Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne
bewegte sich mit einer Würde wie keine andere Frau im Saal. Sie wirkte zu streng, als dass man sie hübsch hätte nennen können, und doch strahlte sie eine eigene Schönheit aus. Von der leuchtend weißen Haut ihres Gesichts hoben sich dunkel die fein gezeichnetenBrauen ab, die ihre durchdringenden hellbraunen Augen überwölbten. Ihr Blick flog über die kostümierten Gäste, und ich sah, wie ihre Lippen schmal wurden vor Missbilligung.
Mit klarer, tiefer Stimme sagte sie: »Ich bin hergekommen, weil ich hörte, dass Bischof Gardiner in England gelandet sei und von den Howards geehrt werden sollte. Ich konnte es nicht abwarten, ihn zu sehen. Ich muss gestehen, die Art und Weise, wie man ihn ehrt, verwundert mich. Ich hätte nicht geglaubt, dass jetzt die Zeit wäre, Feste zu feiern. Ich bin immer noch in Trauer um meine gute Stiefmutter, Königin Jane.« Sie bekreuzigte sich. »Und diese Verspottung der frommen Gläubigen kann meinem Freund, dem Bischof, nicht gefallen.«
»Es soll keine Verspottung sein, Milady«, protestierte der Graf von Surrey.
Der Herzog blickte ihn finster an. »Ich bitte um Vergebung, Lady Maria.«
»Ihr verwöhnt Eure Kinder, Durchlaucht«, sagte sie. »Ihr seid ein höchst nachsichtiger Vater.« Aber sie schalt nicht; vielmehr schwang ein wehmütiger Ton in ihren Worten mit. Sie hatte sich nach dem Tod ihrer Mutter mit König Heinrich ausgesöhnt, aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass der König ein nachsichtiger Vater war.
Bischof Gardiner trat vor und beugte zu meiner Überraschung das Knie vor ihr. »Bitte vergebt, was Ihr heute Abend hier seht – und nehmt meinen innigsten Dank dafür an, dass Ihr mich aufsucht«, sagte er ehrerbietig. »Es ist mir eine große Freude, Euch zu sehen, Lady Maria.«
Er küsste ihr die Hand. Ich spürte die innere Verbindung, die zwischen ihnen bestand, und musste an das denken, was ich in Malmesbury gehört hatte – dass Gardiner mit der königlichen Familie verwandt war. Vielleicht wusste die Prinzessin um diese Verwandtschaft.
Auf den Bischof folgte der Herzog von Norfolk, der sich mit einer Ehrerbietigkeit, die ich von ihm nicht kannte, zu ihrer Hand hinunterbeugte. Aber sie war ja auch der leuchtende Stern und die Hoffnung für ihn und seine Anhänger. Obgleich der König sie für illegitim erklärt hatte, bestand doch die Möglichkeit, dass sie wieder als seine Nachfolgerin eingesetzt wurde. Wenn der König sich nichtnoch einmal verheiratete, würde sie nach einem Knaben, der noch ein Säugling war, die zweite in der Thronfolge sein.
Gardiner beobachtete mich aus dem Augenwinkel. Gleich würde man einen Befehl geben und Bruder Edmund und mich aus dem Saal führen. Dies war meine einzige Chance.
Ich machte einen tiefen Knicks, wie er am englischen Hof nicht Sitte war, jedoch in den Schlössern Kastiliens, der Heimat meiner Mutter und Katharina von Aragón, zur Etikette gehörte.
»
Dona Maria, es un honor estar en su presencia
«, sagte ich.
Sie trat überrascht einen kleinen Schritt zurück. »
Señorita, habla el español muy bien.«
»Dona Maria, yo hablo la lengua de mi madre, Lady Isabella Stafford.«
Ein Schauer überlief sie, und einen Moment lang glaubte ich, sie würde zusammenbrechen. An ihrem weißen Hals pochte eine blaurote Ader.
»Ihr seid Joanna Stafford!«, rief sie. »So lange schon wollte ich Euch kennenlernen. Maria de Salinas hat mir berichtet, dass Ihr meine Mutter betreut habt. Ich wollte Euch ausfindig machen, aber Maria starb, bevor man Euch finden konnte.« Aufgeregt wandte sie sich dem Herzog von Norfolk zu. »Gibt es hier einen Ort, wo ich unter vier Augen mit ihr sprechen kann?«
»Natürlich«, sagte der Herzog zähneknirschend. »Folgt mir.«
Ich bemerkte, wie er Gardiner ansah und mit dem Kopf kaum wahrnehmbar in Bruder Edmunds Richtung wies. Wenigstens ihn wollten sie in die Hände bekommen.
»Lady Maria«, sagte ich schnell, »erlaubt mir, Euch einen Freund vorzustellen, Bruder Edmund.«
»Ihr seid wahrhaftig ein Ordensbruder? Dies ist keine Verkleidung?«, fragte sie mit einem strahlenden Lächeln, das ihr strenges Gesicht schön machte.
Bruder Edmund verneigte sich feierlich.
»Dann folgt uns bitte.« Sie sah den Herzog von Norfolk an. »Geht voraus, Durchlaucht!«, befahl sie, und er konnte nur gehorchen.
Bald waren wir alle im oberen Stockwerk. Lady Maria ging den ganzen Weg Arm in Arm mit mir, als wären wir schon die engstenFreundinnen. Das Herz klopfte mir bis zum Hals,
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