Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne
vorsetzen zu können. Er litt nicht wie meine Mutter unter dem Landleben; er kümmerte sich mit lebhaftem Interesse um die Verwaltung und Bewirtschaftung der Ländereien und Pachthöfe mit ihrem Tierbestand. Je mehr Zeit er außer Haus verbrachte, desto weniger sah er meine Mutter, die unaufhörlich etwas an ihm auszusetzen hatte. Ihre endlose Litanei von Klagen war eine Last für meinen Vater und mich.
»Wir sind hier nicht auf Arundel, Schwester«, bemerkte Cousin Henry verdrießlich.
Elizabeth seufzte und wandte sich wieder meiner Mutter zu. »Ich hoffe, Ihr habt Joanna gut vorbereitet. Bei Hofe geht es heute freizügiger zu als zu Eurer Zeit. Das betrifft natürlich nicht den Haushalt der Königin, sie ist ja eine wahre Heilige, aber –«
Mein Vater, der neben mir saß, nahm mich in den Arm und drückte mich. »Joanna ist das bestgeratene Mädchen der Welt«, erklärte er fest. »Niemand braucht um ihre Tugend zu fürchten.«
Ich wurde rot. Es war wirklich das peinlichste Tischgespräch, das man sich vorstellen konnte. Über die breite Tafel hinweg lächelte Margaret mir teilnahmsvoll zu.
Charles Howard hingegen lachte spöttisch. »Nicht die Damen, die
neben
dem Pfad der Tugend wandeln, muss die Königin fürchten, das wissen wir doch.«
Elizabeth warf ihrem Schwager einen warnenden Blick zu, und er verstummte. Ich verstand nicht, was seine Bemerkung bedeuten sollte.
Ich konnte es kaum erwarten, mich mit Margaret in mein Zimmer zurückzuziehen, um sie nach ihrem Verlobten zu fragen und ihr zu zeigen, dass ich mit ihr fühlte. Sobald wir allein waren, fragte ich, ob es wahr sei, dass sie den Mann, den sie heiraten sollte, kaum kannte.
»Ich habe ein einziges Mal mit ihm gesprochen«, sagte sie. »Aber er sieht mich immerzu an. Auf so eine seltsame Art.« Sie zog einwenig die Brauen zusammen. »Aber erzähl du mir lieber von deinen Plänen, in die Dienste der Königin zu treten«, drängte sie, bestrebt, das Thema zu wechseln.
»Ach, das war doch immer nur der Plan meiner Mutter. Ich wurde jahrelang darauf vorbereitet. Sticken, Tanzen, Musik, höfische Etikette, Kleidung und dazu vier Sprachen. An mir darf es nichts zu beanstanden geben – alles hängt davon ab.« Mir wurde fast übel.
Margaret warf die Bettdecke weg.
»Zum Teufel mit den Regeln, ich mache jetzt Feuer«, erklärte sie. »Und dann bürsten wir uns gegenseitig die Haare.«
Mit einer Kerze zündete sie das alte Anmachholz im Kamin an, und zehn Minuten später saß sie vor dem Feuer und ließ sich von mir das dichte rotgoldene Haar bürsten, das ihr bis zur Taille reichte. Ich wusste, dass es für sie ein besonderer Genuss war, sich bedienen zu lassen, da ja bei Elizabeth immer sie diejenige war, die bedienen musste.
»Dein Vater ist immer so liebevoll zu dir«, sagte sie leise.
»Ja«, stimmte ich zu.
»Ich wollte, meiner wäre noch da. Er fehlt mir so sehr.«
Ich suchte verzweifelt nach einem tröstenden Wort, aber nichts fiel mir ein. Ihre Mutter, die Dienstmagd auf einem anderen Sitz des Herzogs gewesen war, war schon lange tot.
Sie sagte leise: »Wenn Vater noch lebte, würde er mir sicher erlauben, den Schleier zu nehmen.«
»Möchtest du das denn?« Ich hatte nie daran gedacht, ins Kloster zu gehen. Margaret und ich waren beide tief gläubig; das, neben manch anderem, unterschied uns von unseren Cousins und Cousinen. Dennoch waren für mich Nonnen geheimnisvolle, traurige Geschöpfe, denen ein Hauch von Scham und Schande anhaftete. Vor Jahren war eine unserer Tanten von ihrem Mann in ein Kloster geschleppt worden – mit Zustimmung des Herzogs von Buckingham –, weil sie sich bei Hof skandalös benommen hatte. Es wurde sogar getuschelt, sie habe eine Tändelei mit dem König angefangen. Sie war nach kurzer Zeit zu ihrem Mann zurückgekehrt.
Erregt umfasste Margaret meine Hände. »Im letzten Jahr habe ich mit meiner Schwester eine Wallfahrt nach Durham unternommen.«Ich erinnerte mich an diese Reise. Der Herzog hatte, wie meine Mutter mir erzählte, seine Frau in ihrem gemeinsamen Londoner Haus hart gezüchtigt, worauf sie zum Schrein des heiligen Cuthbert geflüchtet war, um dort Trost und Beistand zu finden. »Es ist ein so prächtiger Schrein, du würdest genauso beeindruckt sein wie ich, Joanna. Aber obwohl Elizabeth eine der edelsten Frauen von Stand in ganz England ist, durften wir uns dem Schrein nicht zu sehr nähern, keine Frau darf das. Es bereitete meiner Schwester Kummer. In der nächsten Woche
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