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Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne

Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne

Titel: Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Bilyeau
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in der Menge, und an ihre Stelle trat Sir William Kingston.
    »Ich will nicht in den Tower zurück«, sagte ich.
    »Keine Sorge.«
    Fremde Hände packten mich, und ich wurde auf einen kleinen Holzstoß mit einem hohen Pfahl in der Mitte geschleppt. An ihm banden sie mich mit groben Stricken fest. Dann waren die Männer plötzlich weg, und die ersten orangeroten Flammen schlugen an den dürren Ästen und Zweigen zu meinen Füßen in die Höhe. Eine grölende Menge umringte mich, bejubelte mein Sterben, wie sie Margarets bejubelt hatte.
    Ich riss an den Stricken, aber sie waren zu fest gebunden. Eine Rauchsäule stieg auf und begann mich zu umhüllen. Gleich würde ich Todesqualen erleiden.
    »Lieber Gott, hilf mir doch!«, schrie ich. »Ich flehe dich an   – verzeih mir, rette mich!«
    Die Rauchwirbel teilten sich. Eine Gestalt schwebte herab, ein herrlich anzusehender Mann in einem silbernen Brustpanzer. Sein helles Haar war gelockt, seine Haut war wie Porzellan, sein Blick blau und strahlend. Auf dem hellen Haar leuchtete eine goldene Krone. Ich erkannte ihn. Der Erzengel Gabriel, der Gottesbote, war herabgestiegen, um mich zu holen.
    »Du wirst keine Schmerzen spüren«, sagte er.
    Die Flammen krochen über mich hin. Arme und Beine, selbst das Haar, wurden verschlungen, aber es tat mir nichts. Ich lachte, so groß war meine Erleichterung. Ich wusste, dass es vermessen war, in der Gegenwart des mächtigsten Erzengels zu lachen, aber Gabriel, der Sodom vernichtet hatte, lachte ebenfalls. Die Stricke fielen von mir ab, und ich wurde himmelwärts getragen. Gemeinsam begannen wir, uns in einem Tanz zu drehen, der uns immer höher trug.
    Plötzlich schüttelte mich jemand. Ich sah die Hände nicht, aber ich fühlte sie.
    Der leuchtend blaue Himmel, in dem ich mich drehte, verdunkelte sich, der Erzengel Gabriel begann zu schwanken. »Nein«, schrie ich. Aber alle Seligkeit barst wie ein Schiff, das an schroffen Felsen zerschellt. Der Engel verließ mich, das Letzte, was ich sah, war der Schimmer seiner goldenen Krone.
    Dann erwachte ich.
    Ich schreckte vor dem Gesicht der Frau zurück, das kaum eine Elle von meinem entfernt war. Es war so gemein und hässlich, wie Gabriels Antlitz schön gewesen war. Die tiefliegenden Augen unter den dicken Brauen funkelten mich so böse an wie die eines Satans.
    »Tut mir nichts.« Meine Stimme klang heiser. Ich fühlte mich schwach und bleischwer.
    »Ich will Euch nichts tun«, sagte sie. »Ich wollte Euch nur wecken. Ihr müsst etwas essen. Ihr seid schon zu lange ohne Nahrung.«
    Nach und nach fiel mir alles wieder ein. Ich hatte Margaret in Smithfield auf dem Scheiterhaufen gesehen, mein Vater hatte einen Zwischenfall herbeigeführt, bei dem er verletzt worden war. Man hatte ihn fortgebracht. Mich hatte man zusammen mit dem armenGeoffrey Scovill festgenommen und in den Tower geworfen. Ich musste eine ganze Weile geschlafen haben und war von dieser Frau geweckt worden, die, wie ich jetzt, vollends aus meinem Traum erwacht, erkannte, kein hässlicher Satan war, sondern eine ganz gewöhnliche Frau mittleren Alters, allerdings kostbar gekleidet, sie trug schweren Brokat und eine reich verzierte französische Haube.
    »Wer seid Ihr?«, fragte ich.
    »Ich bin Lady Kingston. Und Ihr werdet jetzt etwas zu Euch nehmen. Bess?«
    Sie winkte gebieterisch, und eine zweite Frau, jünger und fülliger, trat mit einem Servierbrett näher. Der würzige Duft einer kräftigen Fischsuppe wirkte wie ein Lebenselixier. Jede Faser meines Körpers lechzte plötzlich nach Nahrung.
    »Wir haben schon gestern versucht, Euch zu essen zu geben«, bemerkte Lady Kingston, während die Dienerin namens Bess das Essen auf mein Bett stellte und sich zurückzog.
    »Gestern?«
    »Erinnert Ihr Euch nicht? Ihr habt zwei Nächte und einen Tag geschlafen. Gestern versuchten wir, Euch zu wecken. Ihr habt etwas Wein getrunken und seid sogleich wieder in tiefen Schlaf gefallen. Man hat Euch ein frisches Kleid angezogen, das andere war zu verschmutzt.« Erst jetzt bemerkte ich, dass ich ein langes baumwollenes Hemd trug. Lady Kingston wies auf ein reizloses graues Gewand, das zusammengefaltet am Fußende des Betts lag. »Ich weiß, es ist Eurem Stand nicht angemessen, aber ich habe viel zu tun.«
    »Das macht nichts«, sagte ich und tauchte den Löffel in die Suppe. Lady Kingston, die mich beim Essen beobachtete, zog die Mundwinkel herab. Ich vermutete, dass einer Frau, die solchen Staat trug, während sie in einer

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