Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne
ich sie zu ihr führen könne, sagten sie, würde Dartford nicht zerschlagen werden – wir könnten weiter hierbleiben. Aber sie warnten mich, auf keinen Fall mit Euch und den Brüdern zu sprechen, weil das sofort Bischof Gardiner auf den Plan rufen würde. Ich müsse meine Nachforschungen mit aller Diskretion anstellen. Der König, versicherten sie mir, werde diese uralte Königskrone mit Ehrfurcht behandeln.«
Ich schnaubte ungläubig, worauf die Priorin kurz errötete.
»Als Bruder Richard mir mitteilte, Ihr beide wärt von Bischof Gardiner nach London gerufen worden«, fuhr sie dann fort, »glaubte ich das keinen Moment. Aber ich habe Euch nicht aufgehalten, weil ich meinte, ich könnte mein Ziel leichter erreichen, wenn ich es hier nur noch mit einem der Beauftragten Gardiners zu tun hätte. Nachdem ich tagelang alles versucht und die Pläne anderer Klöster studiert hatte, erkannte ich, dass die abweichende Anordnung der Ornamente über der Bücherwand im Lokutorium etwas bedeuten musste, und es gelang mir tatsächlich, mir Zugang zu den unterirdischen Gängen zu verschaffen. Aber den richtigen Raum habe ich nie gefunden. Schwester Christina hat mich vorher abgefangen.«
»Schwester Christina hat die Krone gefunden«, sagte ich.
Die Priorin nickte. »Ja, sie hat mich damit verspottet. Sie sagte, sie habe sie schon Wochen zuvor aus dem Kloster entfernt und geläutert.«
Geläutert.
Wieder dieses Wort.
»Aber wie hat sie das gemacht?«, fragte ich.
»Sie sagte, sie habe sie ins Feuer geworfen und geschmolzen. Sie habe sie in Stücke zerbrochen und die Stücke in den Fluss geworfen.«
Mich fröstelte bei dem Gedanken an Schwester Christinas Wahnsinn.
»In Wahrheit ging es ihr vielmehr um ihren Vater und die Verbrechen, die er an ihr und Schwester Beatrice verübt hatte, als um die Krone. Der schwerste Fehler meines Lebens war es, Lord Chester hierherkommen zu lassen. Die Priorin Elizabeth hatte ihm untersagt, das Kloster je wieder zu betreten, aber das wusste ich nicht, weil ich ihren Brief ja nie gelesen hatte. Ich glaube, er wollte vor seiner Tochter mit seiner Macht prunken. Was er ihr angetan hat, war ein gräuliches Verbrechen gegen Gott und die Menschen.« Sie schüttelte den Kopf. »Sie sagte, ihr Vater habe einen Wutausbruch bekommen, als sie ihm mitteilte, dass sie in unser Kloster eintreten wolle. Aber es gelang ihr, ihrem Onkel, dem Bischof von Dover, eine Nachricht zu senden und seine Unterstützung zu gewinnen. Sie wollte hier ein neues Leben beginnen, versuchen, die Vergangenheit zu vergessen, und sich ganz Gott weihen. Vielleicht wäre es ihr gelungen, wenn Lord Chester nicht zu diesem Festmahl gekommen wäre. Ich weiß es nicht. Gott ist barmherzig. Aber als ihr Vater dann unser Reliquiar so schändlich behandelte, muss etwas in ihr zerbrochen sein. Danach gab es kein Zurück mehr.«
Die Priorin richtete sich auf ihrem Stuhl auf. »Ich muss versuchen, mit diesem Fehler zu leben, der diese vielen Menschenleben gekostet hat. Ich werde jeden Tag, der mir noch auf Erden vergönnt ist, um Vergebung und die weise Führung Gottes bitten.«
Ich neigte mich zu ihr und berührte ihre Hand. Sie sah mich an, überrascht – und dann dankbar.
»Was wird jetzt aus uns?«, fragte ich.
»Kloster Dartford wird aufgelöst werden«, antwortete sie. »Ich habe Cromwell geschrieben und von den Ereignissen berichtet, undvor zwei Wochen habe ich einen Brief von ihm bekommen, in dem er klar sagte, was geschehen wird. Ich werde das Kloster dem König übergeben. Es wird keine Verfolgungen oder Verhaftungen geben. Es wird uns genauso ergehen wie allen größeren Klöstern in ganz England. Wenigstens wird uns ein weiterer Besuch der Kommissare erspart bleiben. Nach Ostern müssen wir alle Kloster Dartford verlassen. Für Renten ist gesorgt.«
Die Priorin beugte sich näher zu mir. »In der Zeit, die uns bleibt, werden wir uns unserem Glauben widmen und uns die Würde bewahren, die uns als Angehörigen des Dominikanerordens gegeben ist. Ich kann Euch nur sagen, was ich allen Schwestern sage. Bedenkt sorgfältig, wie Ihr Euer Leben nach der Auflösung des Klosters gestalten wollt. Schwester Joanna, Ihr verfügt über Möglichkeiten, die anderen fehlen. Ihr seid halbe Spanierin, und der Dominikanerorden ist in Spanien sehr mächtig. Ihr könnt dorthin gehen. Ich würde mich für Euch verwenden. Ihr seid nicht mittellos. Das Erbe Eures Vaters …«
Ich schüttelte energisch den Kopf. »Ich bin
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