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Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne

Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne

Titel: Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Bilyeau
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erklärte auch ihre Aufregung am folgenden Tag. Und sie musste an die ältere Tapisserie gedacht haben, die mit der Geschichte der Plejaden.
    Ich fand die kleine Originalzeichnung, die sie für ihre letzte Tapisserie angefertigt hatte. Sie wurde auf einen großen Karton übertragen,der in Streifen geschnitten wurde. Aber die Zeichnung zeigte alles.
    »Ja«, rief ich Schwester Winifred zu, »jetzt sehe ich es!« Ich begann die Garne nach Farben zu sortieren.
    »Können wir helfen, Schwester Joanna?«
    An der Tür standen Schwester Agatha und Schwester Rachel, begleitet von der alten Schwester Anne, die sich auf ihren Stock stützte.
    »Ich war Novizin, als dieser Webstuhl in Dartford eintraf«, sagte Schwester Anne. »Ich glaube, ich weiß noch, worauf es beim Weben ankommt.«
    »Aber ich kann doch nicht älteren Nonnen Anweisungen geben. Das steht mir nicht zu«, protestierte ich.
    »Nehmt Euren Platz ein, Tapisseriemeisterin«, sagte Schwester Agatha mit ihrer lauten Stimme und wies auf Schwester Helens Hocker neben dem Fenster. Ich schluckte einmal, dann setzte ich mich und begann, die Aufgaben zu verteilen.
    Wir machten an diesem Tag große Fortschritte, und am folgenden erschienen zwei weitere Nonnen. Sie wechselten sich mit den anderen am Webstuhl ab, um die letzte Tapisserie zu vollenden, die Kloster Dartford vor seiner Auflösung hervorbringen würde.
    An einem Tag in der zweiten Februarwoche, als Schwester Winifred und ich nach der Arbeit am Webstuhl den Gang hinunterschritten, hörten wir fröhliches Lachen. Wir sahen einander verwundert an. Als wir am Ende des Ostgangs um die Ecke bogen, sahen wir sie   – ein halbes Dutzend Schwestern, junge und alte, mitten im Garten des Kreuzgangs, die Hände zum Himmel erhoben, von dem in dichten Flocken der Schnee fiel.
    Es war ein Schneetreiben, wie ich es seit Jahren nicht mehr erlebt hatte. Schon bedeckte ein weißer Teppich die Erde, und große Flocken saßen auf den Ästen der Quittenbäume. Ich rannte hinaus zu den anderen. Wir drehten uns, wir hüpften und sprangen durch den Schnee und formten Schneebälle. Ich streckte meine Zunge heraus, um die großen, weichen Flocken zu schmecken, die aus Gottes Himmel herabfielen.
    Mit geschlossenen Augen drehte ich mich in einer Pirouette wie eine Tänzerin.
    Eine Hand fasste mich an der Schulter. »Schwester Joanna!«
    Ich riss die Augen auf. Durch das Schneegestöber kam ein Mann auf mich zu. Es war Geoffrey Scovill, Haar und Kleider feucht und schneegesprenkelt, das Gesicht rot vor Kälte.
    »Schwester Joanna«, sagte er und lachte. »Ich habe gehört, dass Ihr wieder gesund seid, aber ich hätte nicht gedacht, dass Ihr schon wieder tanzt.«
    »Geoffrey!«, rief ich. Ich freute mich sehr, ihn zu sehen. Die anderen Schwestern hielten in ihrem ausgelassenen Treiben inne. Sie waren scheu und befangen in Gegenwart dieses jungen Mannes, obwohl er der gefeierte Retter der Priorin war.
    Ich lief ihm entgegen. Ich wusste, dass ich nicht so vertraut mit einem Mann hätte umgehen sollen, aber es war mir in diesem Moment egal. »Ich bin so froh, dass Ihr hier seid«, sagte ich und warf scherzhaft eine Handvoll Schnee nach ihm.
    Er lachte. Ich hatte sein Lachen immer gemocht, selbst wenn er mich verärgert hatte, was ziemlich oft vorkam.
    Hinter ihm tauchte noch jemand auf, Bruder Edmund, und er sah gar nicht fröhlich aus. Er mochte Geoffrey Scovill nicht   – ich vermutete, das würde sich niemals ändern.
    Ich blickte wieder zu Geoffrey; auch er hatte aufgehört zu lachen, lächelte nicht einmal mehr. Die beiden Männer wechselten einen langen Blick, aber er hatte nichts Feindseliges. Es war eher ein Blick schweigenden Einverständnisses.
    »Was ist?«, fragte ich scharf.
    »Euer Vater ist hier«, sagte Geoffrey.
    Im ersten Moment konnte ich es nicht glauben. »Oh, Geoffrey, danke, danke!«, rief ich.
    »Ich habe nichts damit zu tun. Er war schon fast in Dartford, als ich auf ihn traf«, sagte Geoffrey.
    »Er wollte also zu mir?«
    »Ja«, bestätigte Bruder Edmund.
    »Wo ist er?«
    Wieder wechselten die beiden Männer einen Blick. »Er ist im Hospital«, sagte Bruder Edmund dann. »Ich bringe Euch zu ihm. Aber zuerst müsst Ihr wissen   …«
    Ich rannte schon. Eigentlich sollte ich noch nicht schnell laufen, aber ich tat es trotzdem und zwang meine geschwächten Beine zu höchster Anstrengung. Beinahe wäre ich gegen eine Mauer getaumelt, aber ich stieß mich von ihr ab und rannte weiter.
    Er saß auf dem Hospitalbett, in

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