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Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne

Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne

Titel: Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Bilyeau
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Bettwäsche im Arm wollte ich mich als Susanna ausgeben. Und wenn uns jemand anhalten und fragen sollte, wollten wir sagen, dass der Gefangene, der am nächsten Tag vom Herzog von Norfolk verhört werden sollte, frisches Bettzeug brauche. Susanna und ich waren etwa gleich groß und ähnlich gebaut, und wir hatten beide schwarze Haare. Sie war vielleicht fünf Jahre älter als ich, aber ich hoffte, wenn ich in der für sie typischen Haube mit niedergeschlagenen Augen demütig hinter Bess her trottete, noch dazu bei nächtlicher Dunkelheit, würde niemand die Täuschung bemerken. Susanna war Bedienstete im Gefängnis, während Bess in Lady Kingstons Diensten stand. Jeder würde erwarten, dass sie sich hinter Bess hielt.
    Bisher waren wir nur einem Wärter begegnet, der im Hauptgeschossdes Beauchamp Tower irgendwelche Papiere prüfte. Ich hielt meinen Stapel Bettzeug so hoch, dass er mein Gesicht fast verdeckte. Und alles ging gut, genau wie ich gehofft hatte. Der Wärter warf einen kurzen Blick auf Bess und mich und wandte sich wieder seinen Schriftstücken zu. Minuten später hatte Bess die Tür zum unterirdischen Durchgang aufgesperrt, und wir eilten die Treppe hinunter.
    Am anderen Ende wartete der White Tower   – und mein Vater.
    Nachdem ich so viel und so intensiv an ihn gedacht hatte, kam es mir wie ein Traum vor, dass ich ihn nun endlich von Angesicht zu Angesicht sehen und mit ihm sprechen würde, um mir von ihm raten zu lassen, wie ich mich bei dem kommenden Verhör verhalten sollte. Bess hatte gesagt, dass wir höchstens einige Minuten bleiben könnten. Würde Zeit sein, fragte ich mich nervös, ihm die Frage zu stellen, die mich seit Monaten quälte; die mir der Herzog von Norfolk so verächtlich hingeworfen hatte: »Euer Vater hat sich mit dem Schießpulver beinahe selbst getötet. Warum sollte er für den Bankert seines toten Bruders sein Leben aufs Spiel setzen?« Ich wusste keine Antwort darauf. Meine schlimmste Befürchtung war, dass die Einsamkeit auf Stafford Castle meinen Vater um den Verstand gebracht hatte. Wenn er und ich durch ein Wunder dem Tower entkommen sollten, würde ich fortan ihm mein Leben weihen. Eine Rückkehr nach Dartford stand außer Frage. Meine Vergehen gegen die Ordensregeln waren allzu schwer. Aber wenn ich in Zukunft für meinen Vater sorgen könnte, auf Stafford Castle oder an einem anderen Ort seiner Wahl, würde ich niemals aufhören, Christus für Seine Gnade zu danken. Ich sah mich schon mit einem Schöpflöffel in der Hand meinem Vater Suppe in den Teller gießen, während er, wieder bei bester Gesundheit, die Hunde zu seinen Füßen, am lodernden Feuer saß und lächelnd zu mir aufblickte.
    Bess machte so plötzlich halt, dass ich gegen sie prallte. Beinahe wäre ihr der Schlüsselbund heruntergefallen.
    Zwei riesige Ratten hockten direkt vor uns in der Mitte des Ganges. Es fiel ihnen nicht ein wegzulaufen, vielmehr drehten sie sich halb herum und starrten uns mit feurigen roten Augen an, in denen sich der Kerzenschein spiegelte.
    »Gott bewahre uns«, flüsterte Bess. »Dämonen, teuflische Geister. Das ist ein böses Omen, ich weiß es.«
    Ich musste diese Ratten vertreiben, sonst würde Bess allen Mut verlieren. Langsam schob ich mich um sie herum nach vorn. Mit klopfendem Herzen trat ich einen Schritt vor, und dann noch einen.
    Die Ratten rührten sich nicht von der Stelle.
    »Fort mit euch!«, schrie ich und stampfte kaum eine Handbreit von ihren Köpfen energisch mit dem Fuß auf.
    Das schlug sie endlich in die Flucht. Sie flitzten zu einem Loch am Fuß der Mauer und zwängten ihre dicken Leiber hindurch. Die zweite Ratte hielt auf halben Weg inne, als steckte sie fest, dann verschwand auch sie mit heftig zuckendem haarlosem Schwanz hinter der Mauer.
    »Dank Euch«, sagte Bess, leichenblass im Kerzenlicht.
    »Sind wir nicht bald da?«, fragte ich.
    »Doch   – seht.« Sie hielt die Kerze höher, damit ich die Treppe am Ende des Tunnels sehen konnte. Ihre Hand zitterte noch stärker als zuvor, und der Blick, mit dem sie mich ansah, war eine einzige Bitte um Verzeihung. Wir wussten beide, dass im White Tower die Gefahr, entdeckt zu werden, am größten war.
    Ich verlagerte meinen Stapel Bettzeug auf die linke Hüfte und legte ihr meine rechte Hand auf die Schulter.
    »›Wohlan, nun preiset den Herrn, all ihr Knechte des Herrn, die ihr steht im Hause des Herrn zur nächtlichen Stunde. Erhebt eure Hände im Heiligtum und preiset den Herrn. Herr ich rufe zu dir.

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