Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne
verzogenen Mund erkannte ich endlich Charles Howard.
»Hört auf.« Ich umfasste seine bebende Schulter. »Ihr macht es nur schlimmer.«
»Ich sterbe an der Auszehrung, Joanna. So will es mein Bruder. So wollen es alle. Es ist die beste Lösung.«
»Die beste Lösung wofür?«
»Für den Verrat, den ich begangen habe.« Er rang um Atem. »Den
wir
begangen haben. Aber sie hat mich so geliebt. Die Gedichte, die sie mir …« Seine Worte gingen in einem Hustenanfall unter.
Bess trat näher. »Und sie liebt Euch immer noch, Sir. Ich weiß es. Ich bediene sie.« Ich hatte da meine Zweifel. Bess hatte immer nur von einer ewig quengelnden jungen Frau erzählt, die gegen die Bestrafung durch ihren königlichen Onkel wütete. Aber ich dankte ihr im Stillen für ihre Güte.
Und in der Tat schienen Bess’ Worte Charles neue Kraft zu geben. »Sie liebt mich immer noch?« Er sprach jetzt schneller. »Ich hätte geglaubt, dass auch sie mich am liebsten tot sehen würde. Dann könnte sie mit der Erlaubnis des Königs einen anderen heiraten.« Er riss sich plötzlich aus seinen Gedanken und musterte uns mit neuer Aufmerksamkeit. »Aber warum seid Ihr hier?«
»Sagt Ihr es ihm, Miss, während ich das Bettzeug wechsle. Aber vorher müssen wir ihn herausheben.«
Zu zweit hoben wir den armen Charles, der nur noch Haut und Knochen war, aus dem Bett und setzten ihn auf den einzigen Stuhl in der Zelle. Dann berichtete ich ihm von Margarets Verbrennung, unserer Verhaftung, dem Verhör durch den Herzog von Norfolk und dem Irrtum, der uns in seine Zelle geführt hatte.
»Ein Mann, der außer dem König die Achtung meines Bruders genießt?«, fragte Charles. »Für ihn sind doch alle nur Narren.«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich hatte gehofft, mein Vater würde wissen, um wen es geht.«
Bess fragte: »Könnte es Erzbischof Cranmer sein? Oder Cromwell? Sie waren beide hier, um Häftlinge zu verhören.«
Charles dachte darüber nach. »Ja, das sind die beiden bedeutendsten Männer im Land. Aber mein Bruder hasst den Erzbischof von Canterbury ebenso wie den Lordsiegelbewahrer von ganzem Herzen. Er zollt ihnen keine Achtung und wird es niemals tun.«
»Er hasst sie?«, fragte ich überrascht.
»Mein hochwohlgeborener Herr Bruder hasst alle Männer niedriger Herkunft, die durch die Gunst des Königs aufgestiegen sind. Und diese Männer sind beide Feinde des alten Glaubens. Während er auf der Gegenseite steht.«
»Aber dem Herzog bedeutet doch der alte Glaube nichts – er hat die Truppen gegen die Rebellen geführt«, wandte ich verwirrt ein. »Und er hat jeden der Aufrührer hängen lassen.«
»Niemals würde mein Bruder sich gegen einen Auftrag des Königs stellen, aber er bevorzugt den alten Glauben.« Charles zuckte mit den Schultern. »Da ist er wie Gardiner.«
»Der Bischof von Winchester?«, fragte Bess.
»Genau. Winchester, der alte Fuchs. Wenn es überhaupt jemanden gibt, dem mein Bruder Achtung zollt, dann ist er es. Aber er hält sich in Frankreich auf. Er hat den König verstimmt, und der berief ihn daraufhin zum ständigen Botschafter. Kann also nicht Gardiner sein, der zu Euch kommen wird.« Er begann wieder zu husten, es hörte sich schauerlich an. Als er die Hand vom Mund nahm, sah ich das frische Blut darauf.
Draußen hämmerte jemand an die Tür. »Seid ihr fertig?«, rief Tom.
»Noch eine Minute«, rief Bess zurück. Dann wandte sie sich wieder Charles Howard zu. »Sir, wir müssen Euch wieder zu Bett helfen.«
Charles nickte. »Viel Glück«, flüsterte er, als wir ihn auf den frischen Laken niederlegten.
Ich küsste ihn auf die fieberheiße Wange. »Lebt wohl.«
Bess wartete schon an der Tür. Ich hielt sie am Ärmel fest. »Vielleicht kann ich Tom überreden, uns doch noch zu meinem Vater zuführen. Lass es mich versuchen«, bat ich. »Wir können ja sagen, dass auch sein Bettzeug gewechselt werden muss.«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, Miss, das geht nicht. Ich fühle es. Man wird uns entdecken, wenn –«
Die Tür flog auf, Tom schaute herein. »Fertig?«
»Ja«, antwortete Bess. »Wir müssen nur noch die alten Laken mitnehmen, um sie zu verbrennen.«
»Lasst sie im Gang liegen«, sagte er. »Ich kümmere mich drum.«
Wir drängten uns an ihm vorbei in den dunklen Gang. Er schloss die Tür, sperrte ab und blieb stehen, wo er war. Er führte uns nicht weg. Ich war drauf und dran, meine Bitte vorzubringen, ließ es dann aber doch lieber sein. Tom sah mit einem seltsamen Blick zu mir
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