Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne
herunter. Und ich hatte jetzt keinen Wäschestapel mehr, hinter dem ich mich verstecken konnte.
»Ich habe beim Hauptmann der Wache nachgefragt«, sagte er langsam. »Er wusste nichts von einer Anweisung, so spät abends noch Lord Howards Zelle zu reinigen. Das kann immer morgens erledigt werden. Mir kam es gleich ziemlich unsinnig vor.«
Ich sagte kein Wort.
»Wir hatten die Anweisung«, widersprach Bess. »Du wirst schon sehen.«
Tom grinste sie spöttisch an. »Du hast ihm vielleicht einen Liebesbrief von Lady Douglas gebracht, hm?«
»Natürlich nicht«, entgegnete Bess entrüstet. »Sieh doch selbst in der Zelle nach.«
»Ich glaube, das lasse ich.« Toms Blick ruhte noch einen Moment auf mir, dann wies er mit einer Kopfbewegung voraus und sagte: »Gehen wir.«
Auf dem Rückweg durch den dunklen Gang musterte ich die Holztüren, an denen wir vorüberkamen. Saß hinter einer von ihnen mein Vater gefangen? Ich hatte gewagt und alles verloren. Und nicht nur das, ich hatte womöglich auch Bess ins Unglück gestürzt. Verzweifelt suchte ich nach einer Möglichkeit, sie zu schützen, nach einer rettenden Erklärung für ihr Mitwirken, aber mir fiel nichts ein, was plausibel gewesen wäre.
Als wir Toms Posten erreichten, erwartete ich, dass er nun nacheiner Ablösung rufen würde, um uns abzuführen und unserem Schicksal auszuliefern.
Aber stattdessen packte er mich plötzlich beim Arm und zog mich an sich. Sein drahtiger Bart kratzte an meiner Stirn. »Komm mit mir, Susanna.« Ich versuchte, mich loszureißen, aber es gelang mir nicht.
»Was tust du da, Tom?«, fragte Bess scharf.
»Ihr zwei führt doch was im Schilde, aber ich sag nichts. Ich möchte nur ein Weilchen mit Susanna allein sein, dann bring ich euch in die Gesindestube, und alles bleibt unter uns.«
»Nein«, sagte ich.
»Ach, komm, Susanna, es wär ja nicht das erste Mal. Stimmt zwar, dass ich an dem Abend stockbetrunken war, aber an deinen süßen Mund kann ich mich erinnern. Und jetzt bin ich stocknüchtern, Schätzchen.«
»Du nimmst sie nicht mit!«, schrie Bess ihn an.
»Du kannst ja zuschauen, wenn du willst, Bess. Mich stört’s nicht«, sagte Tom.
Es passierte blitzschnell. Bess trat mit aller Wucht auf den Innenrist von Toms rechtem Fuß. Aufheulend ließ er mich los, und während er noch schmerzgekrümmt vor sich hin jammerte, hieb Bess ihm schon beide Fäuste in den Nacken. Wie ein Sack plumpste er zu Boden.
»Schnell!« Bess packte meine Hand, und wir flohen in die Finsternis des White Tower.
Kapitel 11
Wir rannten durch die Flucht von Gewölben, so schnell, dass mir die Lunge brannte. Nie in meinem Leben war ich so schnell gelaufen. Wir hatten jetzt keine Kerze mehr, aber durch die Fenster fiel genug Mondlicht, dass wir uns orientieren konnten. Und Bess kannte in diesem Turm Gott sei Dank jeden Winkel.
Wir hetzten um eine Ecke. Bess prallte gegen die steinerne Mauer und krallte ihre Finger in die Backsteine, um sich aufrecht zu halten. Im ersten Moment glaubte ich, sie wäre außer Atem und hätte angehalten, um Luft zu schöpfen, aber sie bedeutete mir mit einem Kopfschütteln, leise zu sein.
Ich krümmte mich, von heftigem Seitenstechen geplagt.
»Hört Ihr es?«, flüsterte sie.
Und nach einigen Sekunden hörte ich es tatsächlich: schwere Schritte, die sich schnell näherten. Ich nickte voller Angst.
»Die Kapelle«, flüsterte sie.
Lautlos schlichen wir weiter und sahen uns dabei immer wieder um, gewiss, dass wir jeden Moment den großen, bedrohlichen Schatten Toms erblicken würden. Verfolgte er uns allein? Es wunderte mich, dass er niemanden sonst alarmiert hatte, dass er uns nicht aufforderte, stehen zu bleiben.
Bald erreichten wir einen Torbogen, und Bess zog mich hinein.
Die Kapelle umfing uns mit ihrer reinen Schönheit. Anmutige steinerne Säulen zu beiden Seiten der Kirchenbänke trugen das hohe Deckengewölbe, und durch die drei farbenprächtigen Glasfenster sickerte schimmerndes Mondlicht. Wie lange war es her, dass ich das letzte Mal eine Messe besucht hatte? Mir schwanden beinahe die Sinne, als ich mich an der ersten Kirchenbank festhielt, die wir erreichten. Wir schlichen ein Stück weiter den Gang hinauf und kauerten uns nebeneinander in der Mitte einer der Bänke auf den Boden. Bess kaute nervös auf der Unterlippe. Zweifellos überlegte sie, was wir jetzt weiter tun sollten.
Da hörte ich etwas. Das Geräusch war so schwach, dass ich nicht wusste, ob ich meinen Ohren trauen konnte. Ich sah
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