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Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne

Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne

Titel: Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Bilyeau
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Heinrichssind undurchschaubar, alle eng miteinander verflochten. Niemand versteht Heinrich Tudor. Niemand kann vorhersehen, was er tun wird. Nicht einmal Cromwell.«
    »Und der König weiß von der Existenz der Krone und dass ihr mystische Kräfte zugeschrieben werden?«
    »Es ist möglich. Seine Majestät kann nicht wissen, dass sie sich in Dartford befindet, sonst hätte er das Kloster schon vor Jahren bis auf den letzten Stein niederreißen lassen.« Ich schauderte. »Er weiß vielleicht, dass sie existiert, aber er weiß nicht, wo sie aufbewahrt wird. Aber so wie ich Mittel und Wege gefunden habe, um unauffällig nach ihr zu suchen   –« er wies mit einer Handbewegung auf mich   –, »wird vielleicht auch Cromwell Möglichkeiten gefunden haben. Tatsächlich habe ich eine recht beunruhigende Meldung erhalten, dass er mit Dartford irgendetwas vorhaben könnte. Deshalb
müssen
wir die Ersten sein. Ihr dürft mich nicht enttäuschen, Schwester Joanna.«
    »Und wenn doch?« Ich schluckte. »Werdet Ihr dann meinen Vater dafür büßen lassen?«
    »Euer Vater wird an dem Tag aus dem Tower of London entlassen werden, an dem ich von Euch höre, wo die Krone ist«, antwortete er schnell.
    Ich trat einen Schritt näher und sah ihm in die hellbraunen Augen. »Aber wenn ich scheitere   – werdet Ihr ihn dann dafür büßen lassen?«
    »Ihr werdet vielleicht noch vor Allerseelen Erfolg haben   – bis dahin sind es noch etwas mehr als zwei Wochen. Ich habe gehört, dass jede Priorin von Dartford ihrer Nachfolgerin ein Schreiben hinterlässt, das nur diese lesen darf. Eure Priorin ist hochbetagt. Sie wird dieses Schreiben schon verfasst haben, und es wird zweifellos einen Hinweis auf den Verbleib der Krone enthalten.«
    So ruhig wie mir möglich sagte ich: »Exzellenz, ich muss Euch noch einmal fragen, und diesmal fordere ich eine Antwort: Ist mein Vater vor weiterer Verletzung durch Euch sicher?«
    Sein Blick prallte hart auf den meinen. »Seht zu, dass Euer erster Bericht zu Allerseelen bereitliegt«, sagte er. Damit eilte er an mir vorbei zu Sir William Kingston, der an der Tür wartete.
    In diesem Moment hasste ich Stephen Gardiner, Bischof von Winchester, aus tiefster Seele. Ich hatte in meinem Leben schon oftGrund gehabt zu hassen, aber nie war dieses Gefühl so stark gewesen. Ich zitterte am ganzen Körper unter seiner Gewalt.
    Drüben, auf der anderen Seite des Gemachs, überreichte Sir William mit maskenhaftem Gesicht dem Bischof ein Dokument. Der unterzeichnete es und sagte: »Ich sehe, Thomas hat bereits unterschrieben. Wo ist Norfolk?«
    »Er hat im Moment viel zu tun, Exzellenz. Sein jüngster Bruder ist heute Morgen im White Tower verstorben, da muss einiges erledigt werden.«
    Ich konnte den Laut schmerzlicher Klage nicht zurückhalten, der mir über die Lippen kam. Aber niemand hörte ihn.
    Sir William winkte mir und öffnete die Tür.
    »Joanna Stafford«, sagte er förmlich, »hiermit entlasse ich Euch aus dem Gewahrsam des Tower.«
    Mit Thomas von Aquin unter dem Arm und Thomas Becket am Handgelenk trat ich aus dem Bell Tower auf den Anger des Tower of London hinaus, wo das Sonnenlicht des Spätnachmittags die Zweige der Maulbeerbäume erleuchtete.

ZWEITER TEIL

Kapitel 16
    »Ehrwürdiger Bruder, wollt Ihr mir nicht einen Apfel abkaufen?«
    Der Junge, höchstens sieben Jahre alt, stand mitten auf der Watling Street, der alten Römerstraße, die sich von der Südostküste Englands bis nach Canterbury und weiter zog, und hob Bruder Richard seinen Apfel entgegen. Selbst im Grau des Abends leuchtete die Frucht in saftigem Rot.
    London lag hinter uns. Michaeli war vorüber; die Ernte war eingebracht. Apfelbäume säumten die Westseite der Straße nach Dartford. Ich sog den süßen Duft der Früchte ein. Alles erschien mir unwirklich, einem Fiebertraum gleich. Ich konnte immer noch nicht glauben, dass ich, vor Stunden noch im Tower of London gefangen, nun frei und ungebunden über Land fuhr.
    An den unteren Ästen der Bäume hingen kaum noch Früchte, aber weiter oben, für einen wendigen Jungen leicht erreichbar, glänzten die Äpfel in glutroter Fülle. Ich hatte den Jungen mit lang ausgestreckten Beinen unter dem größten Baum sitzen sehen, als unser Wagen um die Wegbiegung gekommen war. Er war sofort aufgesprungen, um Bruder Richard seine Ware anzubieten.
    Der Blick des Kindes galt jedoch nicht dem Mann, sondern dem Pferd. Als ich im Tower zu den wartenden Ordensbrüdern geführt worden war, hatte

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