Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne
blickenden graublauen Augen.
Plötzlich packte sie mich am Arm und hielt mich fest. »Oh, Schwester Joanna, verzeiht mir meinen Unmut mit Euch.«
»Ich verdiene allen Tadel, der mir entgegengebracht wurde«, sagte ich. »Aber danke Euch, Schwester Christina. Eure Freundschaft hat mir gefehlt.«
Wir umarmten uns, und ich lachte ein wenig; wir waren beide so nass und kalt.
Sie sah mich nachdenklich an. »Ihr wart bereit, alles hinzugeben – Euren Platz als Novizin, sogar Euer Leben –, um Eure Cousine zu ehren, die sterben musste, weil sie der Ketzerei Widerstand leistete. Heute finde ich, dass das, was Ihr getan habt, sehr mutig war.«
Ich konnte ihr Lob nur Minuten, nachdem ich meinen Spitzelbrief versteckt hatte, nicht ertragen.
»Nein, nein.« Ich schüttelte den Kopf. »Es war unrecht von mir.«
Mit einer ausholenden Geste drehte sie sich herum. »Wisst Ihr, wo wir hier sind?«
Ich schüttelte den Kopf.
Sie wies abwärts, direkt neben ihren linken Fuß. Tief in die Erde eingebettet lag dort ein grauer Stein.
»Vor Jahrhunderten stand hier auf dem Hügel ein Nonnenkloster«, sagte sie. »Das hier ist das Fundament. Man kann es beinahe in seinem ganzen Umfang erkennen, wenn man genau genug hinsieht. Es bildet ein riesiges Quadrat. Kommt, geht mit mir.«
Den Blick auf den durchnässten Boden gerichtet, folgte ich ihr. Unter dem Gras konnte ich die Steine ausmachen, die sich zu einer, wenn auch lückenhaften, geraden Linie reihten, viel zu gerade, um natürlichen Ursprungs zu sein.
»Es heißt, dass König Eduard dieses Land für das Kloster Dartford auswählte, weil hier früher schon ein Nonnenkloster gestanden hatte«, sagte sie. »Aber ich bezweifle, dass er das Schicksal dieses Klosters kannte.«
»Warum – was geschah denn?«
»Die Schwestern waren Anhängerinnen des Kults der heiligen Juliana«, antwortete sie. »Habt Ihr von ihr gehört?«
»Ich weiß, dass Juliana eine Märtyrerin war.«
»Sie trat zum christlichen Glauben über und wünschte, als Jungfrau zu leben, aber ihr Vater, ein Heide, befahl ihr, einen Römer zu heiraten. Ihr soll sogar der Teufel selbst erschienen sein, um sie umzustimmen, aber sie blieb stark. Sie weigerte sich, ihren Glauben zu verleugnen, und wurde dafür von den Römern gefoltert und enthauptet.«
Ich fröstelte im Wind. Ich fühlte mich so ausgesetzt hier oben, mit Schwester Christina. Vom Kloster aus, das unter uns lag, waren wir gut sichtbar. Die Fenster der Priorin blickten auf die Hügel. Es war uns gestattet, Spaziergänge zu unternehmen, solange wir das Klostergelände nicht verließen. Ein Spaziergang an einem Tag wie diesem jedoch würde zu Fragen Anlass geben.
Doch Schwester Christina schien mir unbedingt von dem untergegangenen Nonnenkloster erzählen zu wollen, und ich fand ihre Geschichte fesselnd.
»Wann wurde dieses Nonnenkloster erbaut?«, fragte ich.
»Das weiß ich nicht, aber zerstört wurde es im achten Jahrhundert.«
Ein Jahrhundert vor König Athelstans Herrschaft, dachte ich. Laut fragte ich: »Und warum wurde es zerstört?«
Mit einem Ruck drehte sie sich um, das Gesicht voll heißer Erbitterung. »Die Nordmänner waren es, Schwester Joanna. Sie standen damals auf der Höhe ihrer Macht. Sie fielen hier und an anderen Orten ein und töteten die Christen. Sie stahlen unsere Güter und brannten unsere Höfe nieder. Aber ihr bevorzugter Zeitvertreib war die Schändung von Nonnen.«
Ich zuckte zurück. »Schwester Christina, das ist ja entsetzlich. Sprecht nicht davon.«
Sie fuhr fort, als hätte sie mich nicht gehört.
»Die Schwestern haben wahrscheinlich gehofft, ihr Kloster wäre weit genug von der Küste entfernt und nahe genug an London, um ihnen Sicherheit zu garantieren. Aber sie täuschten sich. Ein Trupp Nordmänner entdeckte es – es war sehr klein, acht Frauen vielleicht.Die Krieger versuchten einzudringen, um den Nonnen Gewalt anzutun.«
Ich schlug die Hände vor die Augen, als könnte ich mich so vor dem Anblick einer Gräueltat schützen, die hier und jetzt geschah.
»Die Nonnen erhielten Kenntnis davon, dass die Nordmänner auf dem Weg zu ihnen waren. Sie verriegelten alle Tore und Türen. Sie wussten, dass das die Männer nicht lange aufhalten würde, sie waren mit Äxten bewaffnet. Aber soll ich Euch sagen, was die Nonnen getan haben?«
»Schwester Christina, ich kann das nicht hören. Ich bitte Euch. Geschichten über die Schändung von Frauen kann ich nicht –«
Sie fasste mich bei den
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