Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne
seinem Auftrag hier waren? Ich war sicher, dass wir uns alle drei dieselbe Fragen stellten, und merkte plötzlich bestürzt, dass ich diesen beiden Brüdern in Gedanken näher war als den Nonnen im Saal.
Lord Chester klatschte in die Hände. »Und jetzt Musik.«
Ich hätte später nicht mehr sagen können, wie oft wir unsere Stücke wiederholten. Im Nu hatten wir die vier, die wir eingeübt hatten, zur Darbietung gebracht und mussten von vorn beginnen. Und dann noch einmal. Niemand stieß sich daran. Jedes Mal, wenn Lord Chester zu uns hersah, lächelte er beifällig über unser Spiel. Stets verweilte sein Blick auf meiner Vihuela, einem Instrument, das in England weitgehend unbekannt war.
Er beherrschte die Gespräche am Kopf der Tafel. Sie hatten nichtsmit Allerseelen zu tun, sondern drehten sich vor allem um seine neue Stellung bei Hof: Hüter der königlichen Jagdhunde. Er sprach von Landspaniels und Wasserspaniels, Laufhunden und Windhunden. Da ich mit der Musik beschäftigt war, schnappte ich nur Gesprächsfetzen auf. Lady Chester nickte immer wieder zustimmend, wie sich das für eine Ehefrau schickte. Ich konnte an ihr kaum eine Ähnlichkeit mit der willensstarken Schwester Christina entdecken, die offensichtlich mehr ihrem Vater glich.
Irgendwann erlahmte das Gespräch, und Lord Chester widmete sich nur noch den dargebotenen Speisen. Auf riesigen silbernen Platten wurde eine Köstlichkeit nach der anderen aufgetragen. Er bediente sich von allem mit herzhaftem Appetit, ob Rinderbraten, Kaninchen oder Kapaun. Aber mit besonderem Genuss sprach er dem am Spieß gebratenen Schwein zu. Er schien unersättlich in seiner Gier. Immer wieder verlangte er von dem knusprigen Schweinefleisch. Seine Finger troffen von Fett; es tropfte ihm vom Mund und befleckte das feine Tischtuch. Und er trank ohne Unterlass. Ich weiß nicht, wie oft sein Becher aufgefüllt wurde.
Niemand sonst bei Tisch legte eine solche Lust am Essen und Trinken an den Tag. Lady Chester ließ das meiste von ihren Speisen stehen. Die Priorin und Bruder Richard lehnten die Fleischgänge ab und begnügten sich mit Brot, Käse und Obst. Wir anderen sahen nur zu. Wir hatten alle vor dem Mahl Suppe und Brot bekommen, und dabei blieb es. Es war keine Härte. Wir waren es gewöhnt, viele Stunden, selbst einen ganzen Tag lang, ohne leibliche Nahrung auszukommen. Uns war es nur recht.
Im Saal war es dunkel geworden, als Lord Chester endlich gesättigt war. Die Dienstboten zündeten die Kerzen in den Leuchtern und dem vielarmigen Kandelaber auf dem Haupttisch an. Die Allerseelenmesse, die eigentlich vor Einbruch der Nacht beginnen sollte, würde aufgeschoben werden müssen. Die Regeln der Gastfreundschaft verlangten, dass unseren Gästen Zeit gelassen wurde, das Mahl in Ruhe zu beenden.
Endlich schob Lord Chester mit einem befriedigten Rülpsen seinen Teller weg. Wir legten dankbar unsere Instrumente nieder. Es war beinahe vorbei.
Der Lord wandte sich der Priorin zu. »Ein großartiges Mahl«, sagte er lallend.
»Es freut mich, dass es Euren Beifall gefunden hat«, erwiderte sie.
Er lehnte sich seufzend in seinem Sessel zurück. »Ach, welch ein Unglück«, sagte er, »wenn nun auch die restlichen Klöster aufgelöst werden.«
Eine der Schwestern stieß einen unterdrückten Schrei aus. Bruder Edmund senkte den Kopf, und Schwester Winifred umfasste seinen Arm.
Aber niemand war so erschüttert von der Bemerkung wie die Priorin Joan, die einen Moment die Augen schloss und die Hände fest auf die Brust drückte.
»Und das Verfahren wird ein anderes sein«, fuhr Lord Chester fort. »Die Kommissare werden nicht mehr erst nach Beweisen für Unregelmäßigkeiten und Zügellosigkeit in den Ordenshäusern oder nach versteckten Schätzen suchen.« Je mehr er sich für sein Thema erwärmte, desto deutlicher wurde seine Aussprache. »Sie werden den Klostervorstehern persönlich mitteilen, was der König von ihnen verlangt: Dass sie ihre Ämter unverzüglich niederlegen und ohne Aufsehen verschwinden. Dass Ihr Eure Gemeinschaften freiwillig auflöst. Wenn Ihr das tut, wird jeder Ordensangehörige eine Rente erhalten. Der König wird diesmal nicht so hart durchgreifen. Er will nicht, dass seine Höflinge die Klöster mit so unverhohlener und gemeiner Gier plündern. Das macht sich nicht gut. Er wird ihnen die Klöster als Geschenke überlassen, aber das muss still und unauffällig vor sich gehen. Er will nicht noch mehr Märtyrer. Das gibt zu viel böses
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