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Die letzte Offenbarung

Die letzte Offenbarung

Titel: Die letzte Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
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restaurierte, noch mit eigener Hand geschrieben hatten.
    Einem traditionsbewussten Mann wie Giorgio di Tomasi musste es jedes Mal einen Stich versetzen, dass die lange, stolze Tradition seiner officina mit ihm zu Ende gehen würde, denn der capo hatte keine Söhne, und irgendwie hatte Amadeo Zweifel, dass Chiara di Tomasi dieses Erbe antreten würde. An Ehrgeiz mangelte es ihr sicher nicht — aber kein Mensch konnte mit solchen Fingernägeln ein Buch restaurieren. Vielleicht war ihr Vater ja deshalb ständig so knurrig. Nun, wenn er auch nur den Hauch einer Ahnung hätte, was Amadeo da gerade vorbereitete, hätte er allerdings einen Grund zum Knurren gehabt. Das Geheimnis der neuen Scanner bestand darin, dass sie die kostbaren Handschriften keiner unverträglichen Belastung aussetzten. Alte Pergamente und Papyri waren ein bisschen wie Vampire — etwas zu viel Licht, und schon konnten sie zu Staub zerfallen.
    Amadeos Handy besaß keine entsprechende Sicherung. Mit kritischem Blick richtete er den obersten der Pergamentstreifen auf der Arbeitsfläche aus. Die Glasplatte hatte er wieder entfernen müssen, denn den Reflexionen der Halogenlampe war nicht beizukommen. Außerdem besaß die Linse seines Mobiltelefons keinen Zoom — er selbst hätte sich im Glas gespiegelt. Jetzt, ohne Platte, sollte es mit dem eingebauten Blitz keine Probleme geben.
    Er hatte bereits einen Versuch unternommen: Er konnte bis auf zwanzig oder dreißig Zentimeter an das Objekt heran, ohne dass es unscharf wurde. Kaum die höheren Weihen der Makrofotografie, doch es musste genügen. Der Scanner speicherte jeden Arbeitsvorgang auf der Festplatte ab. Falls sich diese Funktion irgendwie deaktivieren ließ, wusste Amadeo nicht, wie es funktionierte. Und er wollte nicht, dass der capo die Papyri zu sehen bekam. Nicht zu diesem Zeitpunkt jedenfalls. Erst einmal wollte er wissen, womit er es zu tun hatte, und dazu brauchte er jemanden, der sich wirklich mit alten Handschriften auskannte — anders als er selbst, der die Materie in den Jahren an der Universität immer nur gestreift hatte. Helmbrecht war eine Kapazität, eine Koriphäe. Einer der größten lebenden Paläographen — und der einzige, den Amadeo persönlich kannte.
    Wie bibelfest der Professor war, wusste er nicht, dass der Evangelist Johannes nicht schon im zweiten oder dritten Satz seiner Schrift auf die Hochzeit zu Kana zu sprechen kam, sollte ihm allerdings bekannt sein.
    Amadeo hatte zunächst versucht, die unteren Zeilen des Fragments irgendwie abzudecken. Doch Helmbrecht hatte Augen im Kopf, deshalb hatte der Restaurator ihn schließlich angerufen. Dass er da etwas verstecken wollte, hätte noch des capos sagenhafte mamma erkannt.
    Es war eine harte Entscheidung gewesen, schließlich bestand der Papyrus ohnehin schon aus elf Fragmenten. Ob es nun elf oder zwölf waren... Seine Restauratorenseele blutete, aber die Hauptsache war der Effekt. Wenn da eben nur ein Satz stand, dann stand da eben nur ein Satz. Das war unverdächtig. Er war wirklich ganz vorsichtig gewesen mit dem Präzisionsmesser, der untere Rand war fast ein wenig zu glatt. Zerfetzen mochte er ihn nicht auch noch. Er konnte nur hoffen, dass Helmbrecht nicht darauf achten würde, wenn er erst einmal erkannte, was er da vor sich hatte und wie alt der Text war. Wenn er tatsächlich so alt war.
    Amadeo stieß den Atem aus und brachte den Papyrus in den Fokus. Er fluchte. Hatte er eben schon so gezittert? Er versuchte die rechte Hand mit der linken festzuhalten, das machte es jedoch nur noch schlimmer, daher stützte er schließlich die Ellenbogen auf die Arbeitsfläche. So würde es gehen.
    Ein kurzer Lichtblitz. Er musste einen Augenblick warten, dann erschien das Bild im Display. Noch ein zweites, zur Sicherheit. Amadeo hielt das aufgeklappte Handy neben das Fragment. Die Farben waren gut getroffen, und für ihn sah die Aufnahme scharf aus. Wenn Helmbrecht noch besondere Wünsche hatte, sollte er sich melden. Seine Finger huschten über die Tasten des kleinen Apparats, als er Helmbrechts private Mailadresse eintippte und auf Senden drückte. Er seufzte. Das war es. Jetzt konnte er nur warten.
VIII
    Amadeo kam nicht einmal bis ans Ende des Flurs. Gerade hatte er die Espressomaschine im Blick, deren grünes Lämpchen hypnotisch blinkte.
    »Va, pensiero, sull' ali dorate...« Amadeo ging es durch Mark und Bein, im wahrsten Sinne des Wortes. Er hatte das telefonino in die Hemdtasche gesteckt, und gleichzeitig mit dem Chor

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