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Die letzte Offenbarung

Die letzte Offenbarung

Titel: Die letzte Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
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Boden zu küssen, wie der Pole es immer gemacht hatte, wenn er irgendwo unterwegs war. Giovanni Paolo war für die Römer rasch zu einem der ihren geworden. Bei dem Deutschen war das anders gewesen. Benedetto hätte sich Amadeo dagegen gut in Weimar vorstellen können. Der neue, papa Pio, Kardinal de la Rosa, von dem vorher nie ein Mensch gehört hatte — Amadeo hatte noch keine rechte Meinung zu ihm, und den meisten Römern ging es ähnlich.
    Dieser Papyrus... Amadeo hatte die Toilettentür nur angelehnt und hörte das verhaltene Klicken, mit dem die Maschine sich abschaltete. Fast ehrfürchtig griff er nach seiner Tasse. Dieser Duft. Das war sein Weihrauch, seine Myrrhe. Weihrauch und Myrrhe. Doch darüber kann ich nichts sagen, denn er hat niemals zu mir darüber gesprochen .
    Der Schwindel war ganz plötzlich da. Es war ein Gefühl, als wollten jeden Augenblick seine Beine unter ihm nachgeben. Auf einmal kam eine Ahnung von der Tragweite dessen, was er da gelesen hatte, über ihn. Giovanni Paolo, Benedetto, Pio. Und zweihundertfünfzig oder wie viele vor ihnen.
    Doch er muss es in jenem Augenblick erkannt haben. Dass er Petrus seine Kirche anvertrauen würde, mir aber seine Mutter . Das hatte jemand geschrieben, der diese Menschen gekannt hatte! Diese Menschen! Das hatte jemand... Johannes, der Apostel! Seit Jahrhunderten redeten sich die Theologen die Köpfe heiß, ob der Apostel und der Verfasser des Evangeliums identisch waren. Dabei war das nicht einmal eine Fußnote, wenn das, was Amadeo da gefunden hatte, ja, wenn es...
    Der Restaurator spürte, wie sein Herz unvermittelt zu jagen begann. Hatte er bisher unter Schock gestanden? Seine Hand zitterte so sehr, dass er beinahe den ristretto verschüttet hätte. Mit Mühe brachte er die Tasse an die Lippen und kippte das dampfende Gebräu in zwei Schlucken herunter, so dass er sich die Zunge verbrannte. Ob das eine gute Idee war? Oder gerade das Richtige, wenn die Ohnmacht nach ihm tappste auf leisen Sohlen von Fendi.
    Vielleicht war es tatsächlich der brennende Schmerz in seinem Mund, der dafür sorgte, dass er bei Bewusstsein blieb. Amadeo sank auf Niccolosis Bürostuhl. Es war ein Drehstuhl. Darauf konnte er verzichten: Das erledigte sein Kopf auch ganz alleine. Amadeo schloss die Augen, was es nicht besser machte. Im Gegenteil. Er heftete die Augen auf den heiligen Antonius, auf den schlichten ledernen Einband. Ja, es war ein schlichter Einband, wenn man ihn mit dem Hortulus verglich, der auch ohne seinen einzigartigen geheimen Inhalt ein wunderschönes Stück war.
    Ganz allmählich beruhigte sich der Schwindel in Amadeos Kopf. Ein metallischer Geschmack war in seinem Mund. Er musste sich auf die Zunge gebissen haben. Es war ein klebriges Gefühl, als er sich über die Lippen fuhr. Wahrscheinlich sah er jetzt aus wie ein Vampir — die Gesichtsfarbe kam sicher auch gut hin.
    Die Papyri. Er musste zurück zu den Papyri. Wie konnte er einen caffè trinken, wenn ein paar Schritte entfernt die gewaltigste Entdeckung lag, die jemals ein... ein was auch immer... ein Theologe, ein Historiker, ein Archivar, irgendjemand, der mit Büchern zu tun hatte, gemacht hatte. Diese Offenbarung würde seinen Namen auf ewig ins Buch der Geschichte schreiben.
    »Unsterblich«, flüsterte Amadeo. Die ganze Welt würde seinen Namen erfahren. Und sie würde ihn nie wieder vergessen, denn das hier war — es war unglaublich.
    Er stemmte sich in die Höhe. Der Schwindel war noch immer da. Sein Mund war trocken, die Nase eiskalt, die Hände spürte er erst gar nicht. Sein Herz rappelte. Wie hatte Schliemann sich gefühlt, als er auf die Ruinen von Troja gestoßen war? Oder Einstein, als ihm die Relativitätstheorie zu Bewusstsein gekommen war? Wenn Atlantis wirklich existiert hatte, wie würde sich sein Entdecker fühlen?
    Nichts davon besaß auch nur ansatzweise eine solche Tragweite wie die Papyrusfragmente, die im Sekretum unter einer Glasplatte ruhten, versteckt unter einem zerfransten Karton mit der Aufschrift Attenzione! Vetro! Fragile!
    Als Amadeo den Flur entlangtaumelte, schien die Neonröhre zu flackern. Vielleicht war es auch sein Bewusstsein, das sich nicht recht entscheiden konnte, ob es sich nun doch noch verabschieden sollte. Der Flur war noch nie so lang gewesen, es mussten mehr Türen sein als sonst.
    Sein Magen rumorte. Auf einmal verspürte er das dringende Bedürfnis, sich über die Toilette zu beugen. Was hatte er zu Mittag gehabt? Wie lange war das her? Essen.

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