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Die letzte Offenbarung

Die letzte Offenbarung

Titel: Die letzte Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
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geblieben, eingeschlossen in ihrer Zelle.«
    Er studierte Rebeccas Gesicht. Sie schien zu glauben, was sie erzählte. Die Katzenaugen waren unverwandt auf ihn gerichtet, erfüllt von verhaltenem Feuer. Amadeo spürte, wie die Haare auf seinem Unterarm sich aufrichteten.
    »Die Ungarn entdecken Wiborada. Ich stelle mir das schrecklich vor. Sie muss das alles mitbekommen haben, wie sie heulend und tobend um die Kirche streunen, ihr den Tod androhen und Schlimmeres.« Sie fröstelte. »Doch sie kommen nicht an sie heran, obwohl sie alles versuchen. Sogar die Kirche wollen sie in Brand setzen. Auch das hilft nichts, denn sie ist aus Stein gebaut.«
    »Noch mal Glück gehabt«, erwiderte er lächelnd.
    »Also decken sie schließlich das Dach ab und erschlagen Wiborada vor dem Altar.«
    Amadeo schluckte und betrachtete noch einmal den Holzschnitt. Er stammte aus dem Spätmittelalter, deshalb auch die Hellebarde, die es in Wiboradas Zeit noch nicht gegeben hatte. Hier stand sie als Symbol für ihren gewaltsamen Tod.
    »Der Vergil war wohl noch nicht entstanden, als Wiborada starb«, sagte Rebecca und nickte zu dem verschnürten Manuskript hinüber. »Aber einige unserer Schätze wären heute vernichtet — ohne sie.«
    Amadeo blickte auf den Holzschnitt, der fünfhundert Jahre nach Wiboradas Tod entstanden war und natürlich keinerlei Ähnlichkeit aufwies, dann auf die rothaarige Frau. Ob sie so ausgesehen hatte? Mit funkelnden Augen und entschlossenem Blick? Wohl kaum. Rebecca Steinmann hätte sich gewiss nicht wehrlos abschlachten lassen. Rebecca Steinmann hätte gekämpft.
    Er musste an seine Lanzettmesser denken, an das in der Mappe verborgene Röhrchen mit dem Vitriol.
    Wiborada hatte die Bücher des Klosters gerettet und war dann gestorben.
    Rebecca Steinmann würde töten für Bücher.
XXIX
    Rebecca würde töten für Bücher — Amadeo hätte zwei Stunden später selbst töten können: Sein Magen knurrte und grummelte, dass er schon in Sorge war, jeden Augenblick könnte einer der betagten Herren aus dem Arbeitssaal an seinem Tisch erscheinen, um sich über die Lärmbelästigung zu beschweren.
    Der Vergil war eine knifflige Angelegenheit. Immerhin war die Bindung in Anbetracht des hohen Alters fast neuwertig. Mit seinen Pinzetten kam er nicht recht weiter, und die Aufschlitztechnik, mit der er dem Hortulus zu Leibe gerückt war, kam nicht infrage. Amadeo hatte keinen Zweifel, dass Rebecca Steinmann sich den Codex verdammt genau angesehen hatte, bevor sie ihn aus der Hand gab, und selbstverständlich würde der Zustand jedes einzelnen Manuskriptes in den Unterlagen des Custos genau dokumentiert sein.
    Bevor Rebecca Amadeo mit der Aeneis allein gelassen hatte, hatte er ein mehrseitiges Dokument unterschreiben müssen, in dem er sich verpflichtete, den Codex pfleglich zu behandeln, keine unerlaubten Kopien anzufertigen und so weiter. Er hatte das Konvolut nur überflogen, schließlich hatte er vor, den Vergil förmlich auszuwaiden .
    Amadeo sah auf die Uhr. In zehn Minuten war er mit dem Custos verabredet. Rasch packte er seine Sachen zusammen und verstaute sie in einem Schließfach. Mit dem Vergil unterm Arm schlenderte er hinüber zu einer Auskunftstheke, an der bereits zwei Herren warteten. Dabei ertappte er sich, dass er unauffällig nach Rebecca Ausschau hielt. Das wäre mit Sicherheit eine interessantere Gesellschaft zum Mittagessen gewesen als diejenige, die ihm bevorstand.
    Geduldig wartete er ab, während die Dame an der Auskunft einen Stapel Papiere zusammensuchte und den beiden Herren reichte. Sie bedankten sich mit einem Nicken, und einer von ihnen griff nach dem Kugelschreiber, den die Frau ihm reichte.
    Amadeos Blick fiel auf die Hand des Mannes.
    Auf einen Fingerring mit einem roten Stein.
    Der Mann trug einen gedeckten Anzug und blank geputzte, teure Schuhe. Der andere ebenso.
    Der Codex in Amadeos Händen schien mit einem Mal Zentner zu wiegen.
    Sie sind hier!
    Die Dame an der Auskunft musste zwei Mal nachfragen, bevor er einen Ton herausbekam.
XXX
    Er hatte es geahnt.
    Amadeo hatte geahnt, dass es nicht beim Mittagessen bleiben würde. Nach einer Stunde gab Monsignore Zug ihn zwar wieder frei, allerdings nicht, ohne ihm aufzuerlegen, sich um acht wiederum in der Wohnung des Custos einzufinden, um »in Ruhe über die alten Zeiten zu plaudern«.
    Amadeo grauste vor dieser Aussicht, als er sich wieder an den Vergil setzte, doch das stand alles im Hintergrund.
    Sie sind hier!
    Seine Bewegungen waren

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